Breznik die 8. – unvorstellbare 132 Kastrationen in wenigen Tagen!

Am 27.10.2018 um 23:15 schrieb Verein RespekTiere:

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Breznik, die 8.! 132 OP’s – Kastrationsprojekt at it’s best!!!

 

Der warme Wind am Morgen kündete wieder einen fast sommerlichen Tag an, einen solchen, der auf jeden Fall viel zu heiß für Mitte Oktober ist. Tatsächlich hatte, seit es eine offizielle Wetteraufzeichnung gibt, die Quecksilbersäule des Thermometers nie zuvor eine wärmere, durchgehende Periode angezeigt wie wir es in diesem Jahr erlebten. Der wievielte Sommertag, einer also, der mehr als 25 Grad misst, es heute werden soll, wer kann es erraten? 125 an der Zahl, der erste davon gemessen Anfang April, der wahrscheinlich letzte für 2018 wird wohl, glaubt man den Vorhersagen, am kommenden Freitag folgen. Die unglaublich hohe Anzahl viel zu warmer Tage mag ein Grund zu Freude für die Spaßgesellschaft sein, wo kein Gedanke auf das Morgen gelegt wird; ganz sicher aber ist sie ein Grund zur tiefsten Trauer für die gesamte beseelte Natur, wo derartige Extreme mit den unausweichlich schrecklichsten Folgen verbunden sind.
Etwas gedankenverloren haben wir im Flugzeug der Austrian Airlines Platz genommen, der Airbus 320 mit der Flugnummer OS795 wird uns in den nächsten eineinhalb Stunden in eine andere Welt entführen, in eine Welt herzlicher Menschen, aber auch eine der unabdingbaren Tierqual, der ausufernden Korruption und der zerfallenden Gebäude. Cosma und Alex haben neben mir Platz genommen, die MitstreiterInnen so vieler großartiger Aktionen und Recherchen; aber auf einer derart weiten und letztendlich sicher auch unfassbar – körperlich und geistig – anstrengenden Reise sind sie bisher noch nie dabeigewesen. Ich lehne mich sehr entspannt und zufrieden zurück; mit solch großartigen Menschen an der Seite, was soll da schon schiefgehen?

Die kommenden 7 Tage verbringen wir also in Bulgarien; in Sofia, so Gott will, werden wir dem Rumpf des Himmelsboten entsteigen, ein Auto mieten und uns dann in Richtung Breznik begeben. Breznik, Sie erraten es bestimmt, ist jenes kleine Städtchen, wo wir nun schon zum 8. Mal in Folge Gast sein werden, um dort ein ehrgeiziges Kastrationsprojekt durchzuführen!

 

 

Foto: Alex, Cosma und Tom, noch nicht im vollen Bewusstsein, wie sehr die nächsten Tage an die Substanz gehen werden!

 

Rumi, unsere rechte Hand seit Gedenken im Balkanstaat, hat bestimmt wieder alles peinlichst genau vorbereitet. Sie ist eine wahrlich unentbehrliche Stütze, eine Tierschützerin, die unermüdlich für die Sache der Tiere einsteht. Erneut dürfen wir den alten Saal der Gemeinde nutzen, in jenem von Wind und Wetter zerfurchten Gebäude im Zentrum der Ansiedlung. Es war immer ein guter Ort für uns gewesen, und genauso wird er es auch dieses Mal sein! Überhaupt ist die Gemeinde ein verlässlicher Partner für unser Bestreben; lange vor dem jeweiligen Projekt schon informiert sie mittels Aushang und in der Stadtzeitung von der bevorstehenden Aktion – Menschen, welche sich eine Kastration ihrer Lieblinge ansonsten schwer leisten können, werden dabei aufgerufen, ihre vierbeinigen FreundInnen zum Behandlungsort zu bringen, wo der Eingriff kostenlos durchgeführt werden wird. Und wenn aufgrund körperlicher Einschränkungen oder mangelnder Mobilität ein Vorbeikommen nicht möglich ist, dann holen wir die Hunde sogar direkt von ihren HalterInnen ab. Da die allermeisten Menschen ihre Lieblinge sehr oft völlig frei laufen lassen (das andere Extrem ist dann die Kettenhaltung, wo unzählige Tiere ihr Leben an einer unfassbar kurzen Kette verbringen müssen), ist die OP sooo wichtig – denn nur sie verhindert enormes Tierleid, noch bevor es entsteht!
Breznik ist für die unentbehrliche Hilfe sehr dankbar; nicht umsonst wurden wir für unseren Einsatz mit dem Stadtwappen ausgezeichnet!
Bulgarien ist ein armes Land. Und eines, welches in Korruption geradezu versinkt. Nicht zuletzt deshalb haben viele seiner BewohnerInnen dem Balkanland den Rücken gekehrt. Besonders nach der Wende und nach dem EU-Beitritt verließen die Menschen scharenweise die einstige Heimat, immer in Richtung ‚Goldener Westen‘. Folge: Betrug die Bevölkerungszahl 1980 noch über 10 Millionen, leben heute nur mehr knapp über 7 Millionen im Land. Die Bevölkerung ist zudem eine stark alternde, was zusätzlich düstere Zukunftsprognosen aufwirft. So geht man davon aus, dass 2050 unter fünfeinhalb Millionen Menschen in Bulgarien leben werden. Weiteres Indiz: in den letzten Perioden konnten nur vier Städte einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen, darunter selbstredend Sofia-Stadt. Die pulsierende Metropole wird allerdings von vielen Zuwanderern als Sprungbrett zur Abreise ins Auslands genützt.
Die BürgerInnen verteilen sich übrigens auf rund 111 000 Quadratkilometer, was wiederum eine Bevölkerungsdichte von rund 64 Menschen pro Quadratkilometer mit sich bringt (zum Vergleich: jene von Österreich, wo nun schon fast 9 Millionen auf gut 83 900 Quadratkilometer leben, beträgt 105).
Rund 83 Prozent einer im Gegensatz zum Nachbarland Rumänien wenig religiösen Gesellschaft geben sich als Christen aus, mehr als 13 Prozent als Muslime. Erschreckend ist der eklatante Schwund der jüdischen Minderheit, zu welcher sich um 1950 noch weit mehr als 50 000 Menschen zugehörig bekannten, bis 2001 sind davon aber nur mehr 650 übriggeblieben sind.
Bulgarien war, ein Fakt, über welchen vielleicht Wenige Bescheid wissen, fast 500 Jahre unter türkischer Herrschaft. 1393 bis 1396 erobert, gelang es erst 1876 einem russischen Heer die Osmanische Dominanz zu brechen. Alleine, für die Bevölkerung änderte sich nur der Name des Unterdrückers. 1944 wurde das Land von der Roten Armee besetzt, und knapp nach dem Krieg endgültig in den Sowjetischen Einflussbereich integriert. Tausende Todesurteile an der bis dahin herrschenden Klasse wurden nun vollstreckt. Bulgarien war jetzt ein kommunistisches Land. Im November 1989 allerdings formten sich die ersten Proteste gegen die politische Elite, 1990 gab es endlich freie Wahlen. 2007 erfolgte der Beitritt zur Europäischen Union, wobei eine Aufnahme in den ‚Schengener Raum‘ aufgrund ‚unerfüllter Kriterien‘ bis heute nicht zustande kam. Hauptgrund hierfür ist wohl die ausufernde Korruption, welche das Land im eisernen Griff hält und jeden Fortschritt verhindert. Bereits 2008 kürzte die EU wegen mangelnder Entwicklung diesbezüglich über 220 Millionen an Fördergeldern, nur wenige Monate zuvor waren 825 Millionen vorübergehend eingefroren worden. Wie dramatisch die Situation ist, beweist ein Blick auf die Statistik: Nach dem Korruptionswahrnehmungsindex nimmt Bulgarien 2016 den beschämenden 75. Rang unter 176 Ländern ein, gleichauf mit Tunesien oder Kuwait, mit ganzen 41 von 100 möglichen Punkten. Hier kommen wir nun erstmals auf die Straßentier-Problematik, denn trotz vieler zweckgebundenen EU-Fördergelder erreichen diese niemals die dafür vorgesehene Bestimmung. Sie verlaufen sich in dunklen Kanälen, ein Grund, warum das Thema auch gar nicht gelöst werden mag – zu viele verdienen am fortgesetzten Tierleid blutiges Geld…

 

 

Foto: vor dem OP-Raum die Botschaft ‚Humans Best Friends – Help Protect Stray Dogs!‘

 

 

 

 

Fotos: sinnbildlich das zerfetzte Schild der EU-Unterstützung; Straßenhunde überall…

 

Der Flug ist ein angenehmer; gegen Mittag landen wir in der wuchernden Metropole. Sofia, die Schöne, nennt sie sich und sie empfängt uns mit strahlendem Sonnenschein. Das Thermometer nährt sich auch hier an für die Jahreszeit ungekannten Temperaturen, gut 25 Grad zeigt der Sensor später im Leih-Auto.
Kaum haben wir den Flughafen verlassen, tauchen auch schon erste Hunde neben den von Wind und Wetter gezeichneten, von den Elementen zerberstenden Straßen auf. Vorbei geht es an dutzenden Großbaustellen, ganz so, als ob die Wirtschaftskrise längst überwunden; allein, wir wissen, der Eindruck trügt. Kaum sind wir an den Stadträndern, versprüht die Realität auch schon eine andere Wahrheit – der Ruf Bulgariens, als Land der Ruinen, ist ein gerechter, überall tauchen verlassene Gebäude die Umgebung in eine tieftgraue Triste. Als stumme Zeugen eines unabkehrbaren Niederganges passen sie sich perfekt der Stimmung innerhalb seinr Grenzen an. Dennoch, das Umfeld ist ein wunderschönes, eines, wo die Natur sich noch wenigstens ein klein wenig gegen den Siegeszug des Kapitalismus zur Wehr setzen kann. Tatsächlich, Bäume und Sträucher, mannshohe Gräser, reichen teilweise selbst weit über den Fahrbahnrand hinein in das Band aus grauem Asphalt. Es scheint, als wolle sich Mutter Natur ihren Teil zurückholen, als strecke sie ihre Finger aus um den künstlichen Belag zu zermalmen.
Pernik, jene Arbeiterstadt südwestlich von Sofia, erwartet uns mit all ihrem verblassenden Charme; zerrissene Fabrikgebäude wetteifern mit in Rost getauchte Autokarossen um den Platz an der Sonne der Hässlichkeit. Nichts desto trotz nimmt die Umgebung ihre BetrachterInnen mit auf eine Reise in die Vergangenheit, damals, als noch kommunistische Symbole die Szenerie beherrschten. Hammer und Sichel, beide von Korrosion besiegt, konnten den Menschen hier keine Hoffnung bringen; nun hat es der blau-gelbe Sternenbanner versucht, doch er scheint ebenso spektakulär zu scheitern. Dutzende Firmen aus Ostblock-Zeiten liegen über kilomterlande Strecken verstreut darnieder. Ihre sich auflösenden Strukturen gleichen gebrochenen Wirbelsäulen, ihre Überreste erinnern an sterbendes Reptil.
Noch haben wir ein bisschen Zeit für die Übergabe der Schlüssel zu unserer Bleibe für die nächsten Tage. Ein kurzer Weg noch zum Supermarkt also, ein paar Dinge müssen für morgen besorgt werden. Am Weg zum Auto macht sich dann meine Geldtasche selbstständig. Wir laden die Güter gerade in den Kofferraum, als ein Mann näherkommt, offensichtlich kein wohlhabender, und er übergibt mir das Portemonnaie; einfach so. Darin wären 500 Euro gewesen, sowie Kreditkarte und Ausweise. Bei all den schlimmen Geschichten, welche man über Bulgarien hört, wo in Österreich wäre dasselbe passiert? Man muss wirklich sehr, sehr vorsichtig sein mit Vorurteilen, in Situationen wie dieser wird die Feststellung so richtig bewusst!
Ohne Probleme finden wir das Apartment, über AirBnb gemietet, und eine freundliche Familie übergibt uns auch schon die zugehörigen Schlüssel. Jetzt wird schnell ein einfaches Mahl gekocht, dann sind wir wieder auf der Straße. Zu Fuß erkunden wir die nähere Umgebung, beobachten ein paar Straßenhunde beim Spielen und schlendern ohne direktes Ziel durch die 75 000-EinwohnerInnen-Stadt. Langsam nun verabschiedet sich die Sonne am westlichen Ende ihrer täglichen Bahn.

 

 

Foto: ein Land, über weite Strecken dem Verfall unterworfen, sogar die Hoffnung scheint im Streben zu liegen!

 

Zurück in der kleinen Wohnung besprechen wir einen ersten Ablauf der kommenden Tage; kurz sitzen wir auf den Stiegen vor dem kleinen Wohnblock, als sich ein Kätzchen nähert, offensichtlich hungrig. Eigentlich müsste sie noch bei der Mama sein, kaum wenige Wochen alt; wie übel mag ihr in der kurzen Lebenszeit das Schicksal bereits mitgespielt haben. Wir möchten zumindest heute gar nicht darüber nachdenken. Gerne würden wir sie füttern, aber was können wir der Kleinen bieten? In einem veganen Haushalt, noch dazu am ersten Tag einer Reise, da gibt es für Katzen nicht viel zu essen. Für langes Überlegen bleibt allerdings ohnehin keine Zeit, dann während wir noch nachzudenken versuchen, ist sie auch schon in der Wohnung. Dort nimmt sie dann gerne ein bisschen vom Soja-Aufschnitt – und legt sie sich daraufhin wie selbstverständlich auf das Bett zum Schlafen. Ok, selbst im Wissen, es ist bestimmt nicht gut in Straßentieren eine ziemlich unerfüllbare Hoffnung zu wecken, lassen wir sie gewähren. Wer kann diesem süßen Tierkind schon widersprechen? Eine Entscheidung,wie weiter mit ihr zu verfahren ist, wir werden sie morgen überdenken. Jetzt soll sie erstmals zumindest eine Nacht in Ruhe und Frieden nächtigen…

 

 

Foto: das Kätzchen schläft bei mir; Cosma und Alex werden die junge Dame später sicher nach Wien bringen!

 

Der Tag beginnt früh. Gestern erst weit nach Mitternacht zu Bett gekommen, läutet der Wecker zu einer besonders unchristlichen Zeit. Außerdem haben massenhaft Moskitos die Nachtruhe doch erheblich beeinträchtigt. Andererseits aber, jedes Aufwachen beinhaltete den Anblick eines schlafenden Kätzchens im Arm, welches die kurze Streicheleinheit mit dem herzerweichensten Schnurren beantwortet, welches sich ‚Mensch‘ überhaupt nur vorstellten kann. Sie werden’s erraten, die Entscheidung ist längst gefallen – wie auch immer, das Baby muss mit nach Österreich! Wir werden sie nie wieder in die Kälte der Nacht entlassen, in eine äußerst unsichere Zukunft. Ein Wesen unter Millionen, mit dem einen Unterschied, es hat die Trumpfkarte gezogen.
Schnell gehen wir noch in den Supermarkt gegenüber. Es müssen viele Dinge für das Projekt gekauft werden. Leider dauert die Suche nach den verlangten Artikeln immer länger als erwartet, und so erreichen wir den Operationssaal in Breznik dann erst gegen halb 10 Uhr vormittags. Rumi und das Team, wie könnte es auch anders sein, sie alle sind schon mit dem Herrichten des Raumes, der seine besten Zeiten wohl weit hinter sich hat, beschäftigt. Welch eine Freude, die so unfassbar großartigen MitstreiterInnen vieler, vieler Taten wieder zu sehen! Didi, die Tierärztin, vielleicht schon jetzt eine der besten dieses Planeten, ganz sicher aber jene, deren Zukunft eine sein wird, welche ganz wunderbare Fortschritte für die Straßentiere im Lande bereithält, richtet mit der ihr eigenen Genauigkeit den Arbeitsplatz der kommenden Tage zweckmäßig ein. Elli ist da, unverzichtbare Tierschützerin unserer Kastrationsprojekte, Nathalie ebenso, Reni selbstredend; sie alle haben sich für die Aktion dienstfrei gestellt, genau wie Gabi und Melissa. Auch Vanja, die sowieso Unersetzbare, erscheint, aufgeregt und voller Tatendrang. Dazu kommt noch Evelyn und Missi, mit all deren Erfahrung und deren Herz für die Hunde. Eine Frauschaft als Fels in der Brandung, ein Team, das einfach nur die Brust mit Stolz schwellen lässt! Später gesellen sich voller Tatendrang die Männer der Genannten hinzu, Chris, Bobby und Bob, sodass wir wirklich an allen Positionen bestens besetzt sind!
Hinter dem OP-Tisch entfachen wir das große RespekTiere-Transparen und vor dem Gebäude selbst, für jedermann/frau sichtbar, enthüllen wir einen weiteren Spruchbanner: ‚Humans best friends – help protect stray dogs‘. Schnell sind nun auch die Boxen für die Hunde aufgestellt, der OP-Platz ist eingerichtet und noch bevor alles weiter Benötigte auf seinem Platz ist, kommt auch schon ein Reporter einer regionalen Zeitung; er, Hristo, war letztes Jahr schon hier, und erneut wird er einen wunderbaren Artikel über das Projekt veröffentlichen – ein guter Anfang!

Около 200 кучета и котки могат да бъдат обработени по време на безплатната кастрационна кампания в Брезник

Schon bringen auch erste Menschen ihre Hunde oder Katzen. Schicksale offenbaren sich, eine Fülle von Geschichten, welche das Leben schreibt. Währenddessen nimmt draußen auf der Straße die tägliche Tragödie Bulgariens ihren unveränderten Lauf. Eine Mutterhündin, die Säuglinge irgendwo in der näheren Umgebung versteckt hat, schaut neugierig beim OP-Saal vorbei; sie weiß offensichtlich, hier gibt es zu Essen. Und gerne kommen wir ihrem Verlangen nach; später werden wir entscheiden, auch sie soll trotz der Kleinen – wo alle Anzeichen verraten (ein Hinweis daraufhin besteht beispielsweise in den heftige Bissspuren an den Zitzen), sie nehmen schon feste Nahrung zu sich – im Zuge der Kampagne operiert werden. Sie, jung und kräftig, wird sich schnell vom Eingriff erholen und schon am Abend wieder bei ihrem Nachwuchs sein. Es mag hart klingen, aber in der Realität gibt es keine andere Wahl, sonst wird sie schon bald wieder weiteren Babys das Leben schenken und damit zur Misere addieren.

 

 

 

 

Erfreulicherweise kommen nun immer mehr Menschen vorbei, welche ihre Lieblinge bringen; eine Entwicklung, welche bei den ersten Einsätzen nahezu unvorstellbar gewesen wäre und selbst die größten OptimistInnen hätten sich eine derartige Zunahme der Selbstinitiative nicht erwarten können. Genau diese Dinge sind es dann, die unsere müden Geister zu neuen Leben erwecken, jeden Anflug von Ermattung im Keim ersticken. Genau sie zeigen uns, das hier ist der einzige Weg, die einzige Wahrheit – nie und nie und nie aufzugeben, unbeirrbar voranzuschreiten und immer, immer an den letztendlichen Erfolg mit ganzer Kraft glauben – egal wie fern er zu Beginn auch scheint. Träume können wahr werden, gar keine Frage; besser noch, Träume sind wahr, solange wir sie träumen, und leben wir nicht immer im Traum?

Am Nachmittag begeben wir, Cosma, Alex und ich, uns erstmals auf die Suche nach Hunden, um sie zum OP-Saal zu bringen; das ‚Hundefangen‘ ist eine immens schwierige und auch psychisch höchst anstrengende Aufgabe, wer es je getan hat, der/die wird diesen Satz dick unterstreichen können.
Wir versuchen gleich gegenüber im Park einen Hund anzufüttern, leider aber ist der Gute zu scheu und taucht bald im Gestrüpp unter. Deshalb begeben wir uns nun zu den Blocks, den Mahnmälern einer vergangenen Zeit. Plattenbauten in ihrer Urform, daran kann auch der vor nur zwei Jahren erneuerte Außenanstrich nichts ändern. Die bunten Farben sind einprägend, sie verleihen den Gebäuden eine wenn auch angestaubt dennoch leicht moderne Atmosphäre, aber den postkommunistischen Charme können sie dennoch nie und nimmer verbergen. Und irgendwie hat der etwas Anziehendes an sich, warum, es lässt sich kaum erklären. Vielleicht weil die Idee des Kommunismus eine gute gewesen wäre, die Ideale hehere, allerdings ist die Umsetzung an der menschlichen Unvollkommenheit spektakulär gescheitert.
Plötzlich entdecken wir am Ende des Häusermeeres in einem Gestrüpp einen Hund; schon von weitem ist klar, der Arme sieht entsetzlich aus. Obwohl wir nur den Kopf und ab und zu den Rumpf aus dem Astwerk heraus erkennen können – er bedient sich wohl gerade an Essbarem, was es genau ist, wir wollen nicht nachforschen – ist seine völlig hilfsbedürftige Erscheinung nur zu offensichtlich. Tatsächlich wendet sich der ganz sicher schon alte Hund uns bei der Annährung sofort zu; wir bieten im schließlich wohlriechende Nahrung, eine solche, die er bestimmt schon sehr lange nicht mehr, wenn überhaupt jemals, erhalten hat. Und so verschlingt der Senior fast ohne dazwischen zu Atmen eine ganze Dose, aufgesogen in einen vom Leben zerstörten Körper. Jetzt wird das ganze Ausmaß der Misere erkennbar: abgemagert bis auf die Knochen, dazu Wunden am ganzen Körper, ein Bein ist nicht benutzbar. Schnell entscheiden wir – während Cosma und Alex ihn an den Ort binden sollen (mit kleinen Portionen Futter immer in jenen Momenten, wo er weiterzuziehen gedenkt) laufe ich zum OP-Saal zurück und hole das Auto, die Hundebox. Dann geht alles ganz schnell; wir greifen in schließlich, und so eilig als irgend möglich, noch bevor er überhaupt dazu kommt sich zu wehren, findet er sich im Laderaum wieder! Nicht nur er, auch eine Katze hat die Szenerie beobachtet, mitgenascht an den Köstlichkeiten. Ein schneller Griff und auch sie blickt mit völlig überraschtem Ausdruck aus einem Katzenkorb.

 

 

 

 

 

 

Schon kümmert sich das ganze Team mit großem Eifer um den Mitgebrachten, kastrieren werden wir den Armen in seinem Zustand aber natürlich nicht. Er muss erst enorm an Gewicht zulegen, seine Wunden müssen abheilen und seine psychische sowie physische Stabilität wiedererlangt werden. Wie er wohl in diese Lage gekommen war? Eine Erklärung: der Jagdhund, alt und langsam geworden, verwundet (vielleicht bei der Jagd selbst), am Ende seiner Kräfte. Wie dankt es ihm sein vielleicht langjähriger menschlicher Partner? Er wirft ihn irgendwo, möglichst weit von zu Hause entfernt, aus dem Auto… ein Akt der Menschlichkeit, denkt er möglicherweise noch, jemand anderer hätte ihn einfach erschossen…

Später finden wir ein Wildschwein, eingesperrt hinter einem verrosteten Zaun einer zerschlissenen Ruine. Der Garten ist mit Abfall übersäht, es wächst kein Gras, bei leichtestem Regen wird sich sein zu Hause in einen Morast verwandeln. Der Zweck dieser Haltung ist jener, als lebender Vorrat für die Weihnachtszeit zu dienen. Auf Wasser oder gerechte Nahrung wurde in dem von Müll und Dreck verseuchten ‚Gehege‘ aber dennoch vergessen, irgendetwas wird das Tier wohl finden im Haufen von Abfall… so denken viele Menschen hier, blicken nicht über den Tellerrand hinaus und ersticken somit den Keim der Menschlichkeit noch bevor der Samen aufgehen könnte.

Dann geht es rauf zur Müllhalde von Breznik; die Erfahrung sagt, hier gibt es immer Streunerhunde. Allerdings, die Ausnahme bestätigt die Regel, gerade heute lässt sich kein einziger blicken. Der Anblick schmerzt auch so genügend; ein einst wunderbares Land, entstellt und verseucht, vom zweibeinigen Parasiten, der sich am Leben nährt.
Leichter Wind bläst den Gestank der Verwesung über das Meer aus Umweltverschmutzung. Er macht nicht halt vor den notdürftigen, viel zu niederen Zäunen, so verunstaltet er im gleichen Maße auch die sanfte Umgebung und taucht sie dabei in ein Meer der Tränen.

Im Stadtzentrum haben wir bezüglich der Suche nach Hunden mehr ‚Glück‘. Während wir eine Katze ‚anfüttern‘, erscheinen immer mehr Tiere, von der Entbehrung gezeichnet, betteln nach Essbarem. Schließlich gelingt es Alex, einem Hund ein Halsband samt Leine überzuwerfen. Ein schneller Griff in den Nacken, hochgehoben, in die Box befördert, so ist der Ablauf. Selbiges gelingt nochmals, und auch eine Katze können wir in den Wagen verfrachten.
Die Anzahl der eingefangenen Tiere, wir nun erstmals für diese Aufgabe ‚alleine‘, ohne der Hilfe lokaler MitstreiterInnen, ist ja nun gar nicht einmal so schlecht! 🙂
Vor dem OP-Gebäude, wir haben es bereits einmal erwähnt, der Saal gehört zu einer verfallenen ehemaligen Veterinärstelle (an dem anderen Ende ist eine etwas ‚sonderbare‘ Firma beheimatet, welche allerlei Kräuter trocknet und verkauft, aber in einem Rahmen, der etwas nach Illegalität riecht), hat ein Mann ein Stück Wildschweinfell aufgehängt. Dort bemüht er sich stundenlang, seinen Jagdhundwelpen auf die grausige Trophäe zu hetzen…

Ja, der erste Einsatztag soll ein erfolgreicher gewesen sein, aber auch ein langer. Erst gegen 21.30 Uhr schalten wir die Lichter ab, der Schlüssel dreht sich im Schloss und wir fahren zur Herberge zurück. Müde, todtraurig ob der vielen bezeugten Dinge, aber gleichzeitig auch überglücklich über den Verlauf des Einsatzes. Ein Wechselbad der Gefühle, purer Alltag während einer Kastrationskampagne. 25 Eingriffe haben wir als Team geschafft!
‚Zu Hause‘ angekommen, nach einer halben Stunde Fahrt durch die Dunkelheit, welche hier nicht einmal durch kleineste Reflektoren an den Straßenseiten aufgehellt wird, kochen wir uns schnell eine kleine Mahlzeit; Essen ist wie immer zu kurz gekommen zwischen all den Aufregungen; dann gilt es Vereinsarbeit zu erledigen, via Computer, und erst gegen 1.30 Uhr morgens gehen auch in unserem Apartment die Lichter aus.

Ach ja, unserem Kätzchen geht es übrigens ganz wunderbar. Sie wird auch heute wieder bei mir im Bett schlafen, nachdem sie den ganzen Tag in der Wohnung verbrachte – Cosma und Alex sollten sie während des Tages besucht, ihr Spielzeug gekauft und eine Katzentoilette aus einer Kartonbox gebaut haben! Sie ist so unfassbar süß…

 

 

 

 

Wieder wird es ein nahezu heißer Tag; die Sonne zeigt sich schon von frühmorgens weg, sie färbt die am Weg von Pernik nach Bresnik vorbeiziehende Landschaft in ein fast unnatürlich pastellfarbenes Licht.
Jetzt gilt es zuerst die PatientInnen von gestern zu versorgen, sie aus den Boxen zu holen, kurz Gassi zu führen, die Boxen zu säubern, neu auszulegen; dann servieren wir allen ein gar wunderbares Frühstück. Schon sind auch wieder erste Tierhalter mit ihren Tieren vor dem Tor, und spätestens jetzt werden neue ‚Unterkünfte‘ gebraucht; deshalb entlassen wird jenen Teil der Hunde und Katzen, welche wir aus der nahen Umgebung eingefangen hatten, zurück in die Freiheit. ‚Freiheit‘ hat in diesem Teil der Welt aber leider keinen Glanz, sie bedeutet einen tagtäglichen Kampf ums Überleben. Wie die herzensguten TierschützerInnen vor Ort mit einer solchen Belastung umgehen, es ist mehr als bewundernswert. Die allermeisten Menschen würden an der Größe der Herausforderung scheitern, als psychische Wracks zurückbleiben – keine Frage, auch vielen hier droht dieses Schicksal. Man muss wirklich aufpassen, das Erlebe muss verarbeitet werden, es darf aber nicht in die hintersten Winkel des Gehirns eindringen, denn sonst passiert es nur allzuleicht, dass der Geist dem Verlangen nachgibt und verwelkt wie ein Blume im warmen Wüstenwind.

Dann werden auch schon einzelne PatientInnen abgeholt, während wir wieder auf der Straße sind, um weitere Straßentiere zu bringen. Im Ortszentrum entdecken wir dabei einen Welpen, der unsicher durch die Gässchen zieht. Er hat offensichtlich seine Mutter verloren; ziellos irrt er umher, von einer Welt vergessen, die ihn nie geliebt. Es ist mit den Kleinen so ein riesen Problem; für uns MitteleuropäerInnen, die nach den Einsatztagen wieder ins gelobte Land zurückfahren, ist es ein Leichtes zu sagen ‚jemand muss sich um die Armen kümmern‘. Wer aber ist dieser ‚Jemand‘? All jene, die in Bulgarien leben und sich um Tiere kümmern, die Handvoll Menschen, sie haben oft zwei Dutzend Hunde zu Hause zu versorgen; neben den enormen Kosten bringt dies auch eine soziale Ächtung mit sich, denn ihre Umwelt erkennt sie bestenfalls als Verrückte. Während die lokalen MitstreiterInnen also nicht nur nicht aus der Triste entfliehen können, sie müssen nebenbei lernen die psychische Belastung irgendwie auszuhalten. Währenddessen gibt es bei uns immer mehr Menschen, welche weniger nach Erfahrung (die sie ja nicht haben), sondern vielmehr von niederen Gefühlen geleitet glauben, sie müssen über andere urteilen; auch wenn diese ‚anderen‘ genau in jenem Augenblick, wo sie selbst im gemütlichen Zimmer vor dem Schreibtisch sitzen, den Elementen zum Trotz im direkten Tierschutz unterwegs sind, es tut der Sache keinen Abbruch. Dabei gibt es viel zu viele ‚Ich weiß alles besser‘-Typen, und viel zu wenige, denen bewusst ist: nur ZUSAMMEN können wir letztendlich einen Unterschied ausmachen! Deshalb, bitte, wir dürfen in unseren feinen Häusern und unseren weichen Betten nicht auch noch auf Menschen einschlagen, über Facebook und die anderen soziale Medien, welche nur Hunden helfen wollen, auf die Vorgänge in jenem Land schimpfen, alles und jeden in einen Topf werfen. Wenn das alles ist, was wir dagegen zu tun imstande sind, liegt die Schande bei uns, und bei niemanden sonst!
Wie wäre es also, wenn wir beim nächsten Mal vor dem Computer sitzend nicht auf die Tierqual schimpfen, sondern vielmehr jene in den höchsten Tönen loben, die Tag für Tag für Tag einer solchen Hölle ausgesetzt sind und dennoch ebenfalls Tag für Tag für Tag das Beste aus der Situation zu machen versuchen. Sie sind die Helden unserer Zeit, und nicht unsere Besten können ihnen das Wasser reichen. Um die berühmte Kurve zurück zu den Welpen zu kratzen, Ihnen bleiben dann die Kleinen auch noch zurück, zumindest solange, bis sie mit den entsprechenden Impfungen ausgestattet nachkommen können – sofern wir im Westen überhaupt Plätze finden. Wir sonnen uns im Licht, fühlen uns als Tierretter, genießen – wer mag es bestreiten, dass ab und an ein bisschen Lob Wunder wirken kann – die Aufmerksamkeit von den Leuten daheim, während die FreundInnen hier die Schattenseiten, das Kümmern, die Sorgen abbekommen. Zudem, Welpen gibt es so viele, da müssten sie jeden Tag irgendwelche irgendwohin bringen, wo ohnehin kein Platz vorhanden ist… Für uns ist jeder der furchtbar zerbrechlichen kleinen Tierkinder eine Sensation, für die Menschen hier traurigster Alltag. Die Erinnerung des Versagens ihrer PolitikerInnen.

 

 

Obwohl er nur Weglaufen im Sinne hat, fangen wir den Kleinen; er weht sich aber, beißt sogar, versucht die Hand zu erwischen, welche ihn da am Nacken gepackt hat. Es nützt ihm alles nichts; Minuten danach findet er sich schon in der Gitterbox im Transporter wieder! Wir wollen weiterfahren, als ein Mann mit Krücken auf uns zukommt; er verdeutlicht uns, er hätte ebenfalls Hunde im Garten, welche wir mitnehmen sollten. Der Verletzte wohnt in einem Wahnsinn, der Garten ein Müllhaufen, das Haus von den Elementen zerfressen. WC im Garten, ein Loch mit oben herum drei verfallenden Holzwänden; der Sohn kommt dazu, kaum 12 Jahre alt, er raucht wie selbstverständlich eine Zigarette. Der Exitus der Gesellschaft.
Dann sehen wir auch schon den ersten Hund; ebenfalls ein Welpe! Der Arme ist in furchtbar schlechtem Zustand, offensichtlich, aber noch nicht in einem solchen, wo er keine Flucht mehr anstreben würde. Im Gegenteil, er entschwindet in einen schmalen, abfallübersäten Gang hinter dem Haus, um dann im weitläufigeren Garten unterzutauchen. Altes, verschimmeltes Brot liegt auf einen Haufen, es diente bestimmt als Welpennahrung!
Im Gestrüpp vermuten wir ihn unter einer verfaulenden Tür, wir heben diese an, doch können das Tierkind nirgends entdecken. Ist er uns tatsächlich entwischt? Schließlich hören wir ein Knurren, irgendwo unter dem Müll. Nun ist Vorsicht geboten, denn das Hündchen zeigt sich ziemlich ängstlich, lässt ein andauerndes Brummen hören und zeigt die Zähne. Wieder hilft nur ein schneller Griff in den Nacken, und dann ein Sprint zurück zum Auto, um ihn in die wartende Box zu stecken. Jetzt wollen wir endgültig aufbrechen, aber der Mann mit den Krücken meint, es müsse ein zweiter Welpe im Garten versteckt sein. Bevor wir diesen finden, offenbart sich schon die nächste Tragödie; ein toter Welpe liegt im Gras, vergessen, unbeachtet, unbeweint. Der Tierhalter zeigt sich völlig unbeeindruckt, sicher hat er vom Ableben gewusst, es aber nicht der Mühe wert empfunden, wenigstens den toten Körper wegzutragen.
Nun finden wir das zweite Geschwisterchen, ein Mädchen, und wie der Bruder ist sie auf ein schrecklichstes abgemagert, kurz vor dem Tod. Trotz eines zusätzlich zerschmetterten Vorderbeines aber präsentiert er sich ebenfalls angriffslustig. Dieselbe Prozedur muss angewandt werden, bis wir schließlich erfolgreich sind.
Jetzt geht es im Eiltempo zurück zum Saal, wo sich alle zutiefst betrübt über das Schicksal der Armen zeigen, aber dennoch stellt sich sofort die Frage: wohin mit den Kleinen? Wir versprechen ein zu Hause für sie zu finden, sie, sobald sie groß genug sind, in den Westen zu verfrachten.
Sofort werden Pavovirose-Tests gemacht, der Durchfall und das allgemeine Erscheinungsbild lässt auf diese furchtbare Hundekrankheit, die vor allem Welpen befällt, schließen. Gott sein Dank gibt der Streifen Entwarnung, auch der Staupe-Test zeigt ein negatives Ergebnis. Ein erstes Durchatmen; aber mehr nicht, denn ganz sicher werden zumindest zwei der dreien trotz aller Bemühungen bitter um ihr Leben kämpfen müssen…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos: die Bilder spiegel leider nicht den tatsächlichen Gesundheitsstand der Armen wieder; abgemagert bis auf die Knochen, krank, scheu, verletzt und schmutzig – aber am Leben! Infusionen werden verabreicht, dennoch bringt der zweite Tag nochmals eine deutliche Verschlechterung mit sich – jede Nahrung wird wieder aufgestoßen, erbrochen. Erst ab dem dritten Tag geht es ein bisschen bergauf!

 

Im OP-Saal tummelt sich nun schon eine riesige Anzahl von PatientInnen – so erfreulich, man kann es nicht oft genug betonen, auch heute kommen ohne Unterbrechung Menschen und bringen ihre Tiere zum Kastrieren. Nicht nur das, das eine oder andere Mal werden wir auch auf der Straße angesprochen, ob und wann ins ‚Kastrationszentrum‘ Tiere gebracht werden könnten..
Später können wir in der Nähe des Stadtplatzes nochmals eine Hündin einfangen, eine wunderschöne, Cockerspaniel-artige Erscheinung. Das Mädchen fürchtet sich schrecklich, aber es gibt keine andere Möglichkeit – je weniger Hunde Kinder in die Welt setzen können, desto geringer wird das künftige Tierleid sein, und so landet auch sie im OP-Raum…
Cosma und Alex fahren gegen Mittag zu unserer Katze heim, um diese zu versorgen. Jetzt fahre ich alleine auf die Suche nach PatientInnen. Zuerst begeben ich mich ins Stadtzentrum, wo mir ein aufgeregter Mann entgegenkommt. Er versucht mir etwas zu sagen, nur leider verstehe ich ihn nicht. Deshalb gebe ich ihm mein Telefon, Rumi ist am anderen Ende der Leitung. Was wir machen, das bringt so nicht wirklich etwas, gibt er von sich, man muss die Hunde einfangen und dann alle gemeinsam vor dem Parlament in Sofia wieder in die Freiheit entlassen. Nur so sehen würden die PolitikerInnen die Dringlichkeit einer Lösung verstehen lernen, anders werden sie nie etwas tun. Und, keine Frage, irgendwie hat er recht, denn allein ein politisches Eingreifen kann letztendlich eine echte Wendung einläuten. Rumi sagt, ja, wir fangen erst mal und kastrieren, Sie können doch den anderen Teil übernehmen und in die Hauptstadt fahren (wie recht sie hat; die Erinnerung wird wach, wo bei unseren Demos zu Hause hundertmal zu hören ist: ‚Warum tut ihr nichts gegen Abtreibung, sondern kümmert Euch um Tiere?‘ Auch da gibt es nur eine legitime Antwort: Während wir uns um die Tiere kümmern, könnten doch Sie etwas gegen die Abtreibung unternehmen, dann wäre überall geholfen!). Da ist der Mann dann kleinlaut, denn Worte sind immer einfacher als Taten. Letztendlich aber fragt er nach der Adresse des Saals, er wird ebenfalls einen Hund und eine Katze vorbeibringen.
Nun bekomme ich das Telefon zurück; im selben Augenblick taucht ein großer oranger Hund auf; ich schmeiße ihm Futter, er kommt näher. Auf die Frage, ob mir der Polternde helfen könnte ihn einzufangen, meint er nur: Du bist der Hundefänger, zeig mir mal! Mit überlegenem Grinsen verschließt er die Arme vor dem dicken Bauch. Selbstredend, die Herausforderung muss man annehmen. So packe ich den gesamten Mut zusammen, öffne die Türen des Frachtraumes, die Tür der Hundebox, und streichle den Süßen erstmal. Ganz egal wie gutmütig die Hunde auch immer sein mögen, es ist eine Sache, ihnen Futter zu reichen, sie zu berühren, aber eine gänzlich andere, sie hochheben und in einen Käfig stecken zu müssen. Dennoch, alles geht wieder sehr schnell, ein Griff, der ein eventuelles Beißen verhindern soll, ein Hochheben des Beckens, und schon sitzt der Große in der Box. Uff, ich bin nun doch ein wenig stolz, nun, da ich nicht mit leerem Auto zurückfahren muss!
Nachdem ich den Orangen im OP-Saal abgeliefert habe, drehe ich noch eine Runde. Dabei sammle ich Kartons bei den Müllcontainern auf, die werden später als Unterlage in den Boxen dienen. Jetzt fahre ich den Hügel hinauf zu den Roma-Ansiedlungen; am Weg bleibe ich nochmals bei einem verfallenen Haus stehen, wo Cosi, Alex und ich schon am Vormittag vorbeigekommen waren. Mindestens fünf oder sechs Hunde wohnen dort, allerdings allesamt extrem ängstliche. Auf das ausgelegte Futter reagieren sie aber, und nach einer Weile kann ich sogar zwei anfassen – festhalten möchte ich sie dennoch nicht, das würde wohl den Rest so verschrecken, dass ein späteres Einfangen unmöglich wäre. Morgen soll doch auch mein alter Freund Emo, seines Zeichens Hundefänger-Veteran, zum Helfen kommen, und als Gruppe können wir mit Unterstützung des Betäubungsgewehres vielleicht das gesamte Rudel einfangen. Gut für das Vorhaben ist aber sicher, dass sie dann bereits ein bisschen ‚angewöhnt‘ sind; so füttere ich sie noch eine Weile, mit gelegentlichen Streicheln der kleinen Köpfe.

 

 

 

Foto: Cosma beim Versuch eine scheue Hündin einzufangen. Mit viel Gefühl hat sie es geschafft ihr die Leine über den Kopf zu ziehen!

 

Die Suche weiter, bis ich im Gestrüpp an einer Hauskante zwei Hunde versteckt liegen sehe. Ich steige aus, sofort läuft eine ältere Hündin weg, nicht aber ohne ein tiefes Knurren von sich zu geben. Der andere, ein Teenager, vielleicht ihr Sohn, will sich tiefer in die Botanik zurückziehen, bleibt am Ende in den dicken Dornenästen nahezu stecken. Nehmen lässt er sich aber nicht, er zeigt die Zähne und fletscht. Nun kommt auch noch ein dritter dazu, der sich offensichtlich sehr für Essen interessiert – eine gute Ausgangssituation für meine Bemühung! Plötzlich erscheint jetzt eine Frau hinter der kleinen Mauer, die Gute schüttet Essenreste für die Hunde aus; nicht viele Menschen zeigen am Balkan so viel Humanität. Ich spreche sie an, und es wiederholt sich das alte Spiel – Rumi gilt es zu rufen, die dann unser Ansinnen übersetzt. Als ich so ganz nebenbei höre, dass sämtliche Hunde Streuner sind, welche sie bloß mitfüttert (es hätte ja durchaus auch sein können, es wären die ihren und sie wäre gegen Kastration – was sehr viele StadtbewohnerInnen sind), kann ich nicht wiederstehen. Ein fester Griff ohne zu zögern und schon habe ich den freundlichen Hund in den Armen, blitzschnell geht es zum Auto und hinein in die wartende Box! Cool!
Am späten Nachmittag kommen Cosi und Alex zurück; zusammen fahren wir nochmals die Runde. Ein Hund lässt sich von Cosma füttern, bei der Annäherung von Männern haut er aber sofort ab. Aus gutem Grunde wahrscheinlich… Sie schafft es tatsächlich ihm eine Leine um den Hals zu legen, doch ein schnelles Zurück des Hundekörpers befreit ihn aus der misslichen Lage.  Geht ein Versuch schief, gibt es meist keinen zweiten, zumindest nicht am selben Tag. Zu vorsichtig werden die Vierbeiner, zu schnell lernen sie aus dem ‚Verrat‘.
Selbiges Spiel wiederholt sich oben am Hügel, an den Stadträndern. Hier locken wir ebenfalls besonders einen der Süßen an, die anderen drei aus der Gruppe, offensichtlich Geschwister, sind extrem ängstlich. Wir schaffen es auch, den Hund zu berühren, ganz sanft zuerst, ihn dann sogar am Kopf anzufassen, zu streicheln. Alex möchte zupacken, es gelingt auch, aber mit aller Kraft schnellt der Rüde ebenfalls zurück und entflieht dem Häscher in letzter Sekunde.

Am Abend ist noch Dr. Konstantin zu uns gestoßen, der junge Tierarzt hat schon beim letzten Mal unfassbar viel geholfen. Mit großer Freude sehen wir seinem Einsatz entgegen; es gilt noch viele, viele Hunde und Katzen zu kastrieren! Nebenbei, bereits 66 Eingriffe haben wir an nur zwei Tagen geschafft – eine großartige Leistung!
Erst gegen halb 22.30 erreichen wir unser Apartment, wo die Arbeit weitergeht. Um halb 2 Uhr morgens finden wir endlich den Schlaf der Gerechten, welcher aber erneut durch dutzende Moskitostiche gestört wird…

 

 

Foto: wieder haben wir einen Patienten mit uns!

 

 

Foto: Alex ist dabei, diesen Hund zu überzeugen mit uns zu kommen!

 

 

Am nächsten Morgen müssen wir wieder früh los. Der Husten der letzten Tage ist über Nacht auch nicht besser geworden, aber inzwischen machen sich die Abnützungserscheinungen der so anstrengenden und vor allem langen vorangegangenen Tage mehr als bemerkbar. Entgegen den Wettervorhersagen regnet es aber heute bis auf wenige kurze Güsse nicht; welch ein Glück für die Kampagne!!! So starten wir gleich wieder mit dem üblichen Tagesablauf. Die Hunde werden Gassi geführt, die Boxen derweilen gereinigt, vor allem auf die Welpen muss ein Augenmerk gelegt werden – ihr Zustand, zumindest der von zweien, ist weiter ziemlich kritisch, eine Tatsache, welche uns mit viel Bauchweh zurücklässt.
Ach ja, es gibt auch eine gute Nachricht zum Tag: Cosma und Alex haben sich nun endgültig zur Adoption der so süßen Hündin entschieden, welche wir gestern im Stadtzentrum erwischt hatten, und so gilt es für die Beiden auch in diese Richtung ihre Aufmerksamkeit zu lenken. Ein Platz im Flugzeug will gebucht sein, Boxen besorgt, die Papiere ausgestellt.
Währenddessen fahre ich mit Eli und Rumi zu jenem Dorf, wo nur mehr wenige EinwohnerInnen übriggeblieben sind. Es gibt kein fließendes Wasser, selbstredend keine Kanalisation, im Winter ist man abgeschnitten, weil die Zufahrtswege über mehrere Kilometer nicht vom Schnee befreit werden und dann kommt auch noch der Bäcker nur einmal die Woche – Lebensmittelgeschäft? Existiert nicht am Ende der Welt.
Rumis Mam wohnt eigentlich in Sofia; aber die Familie des Schwiegersohns besitzt ein kleines Haus hier im tiefen Hinterland, und weil immer irgendwelche Hunde gerettet werden müssen – in der Stadt fehlt zu deren Unterbringung ganz einfach der Platz – kam eines Tages die Idee des Landlebens samt den Schützlingen. Aus einer selbst auferlegten Frist von mehreren Monaten sind inzwischen einige Jahre geworden, und nachdem der Stadthund von Rumis Eltern gestorben ist, ist auch der Vater endlich nachgekommen!
Wir suchen im Dorf nach einem bestimmten Hund; schließlich finden wir ihn auch, er ist allerliebst, riesengroß, aber eigentlich noch ein Kleinkind. Zu unserer Überraschung hat der Süße je sechs Zehen an den Hinterbeinen, was diesen eher den Anblick von Flossen als von Pfoten beschwert! 🙂 Tollpatschig nähert er sich, wedelnd, unter letztendlich wehrt er sich auch gar nicht, als wir ihn in die Box und dann in das Auto verfrachten! Noch schnell bringen wir einem Anwohner seine nun kastrierte Katzen zurück, dann müssen wir auch schon wieder los. Zurück geht es zum OP-Saal, wo der Andrang von Menschen inzwischen so groß geworden ist, dass manche mit ihren Schützlingen draußen warten müssen, weil wir einfach keine übrigen Hunde- und Katzenboxen übrighaben! So ist die Suche nach Straßenhunden vorerst nicht mehr nötig, zum einen würden wir sie nicht mehr unterbringen, zum anderen sind die nun 2 ÄrztInnen ohnehin völlig ausgelastet!
Deshalb fahren Alex und ich weg um erneut Kartons zur Unterlage zu besorgen; früher bekamen wir solche von einer kleinen Bäckerei, deren Inhaberin ebenfalls Tierschutz betreibt; aber nach einem internen Streit in der lokalen Community ist dieser Weg nun leider verschlossen – legendär, die Zwistigkeit unter den TierschützerInnen, ob in Deutschland, Österreich oder eben Bulgarien.
Inzwischen sind uns schon die Stellen bekannt, wo bestimmte Geschäft die Kartonagen bei den Mülleimern entsorgen. Bald haben wir genug gesammelt und finden uns auch schon wieder im derzeitigen Kastrationszentrum der Welt, zumindest jenem von Breznik, wieder. 🙂
Rumi, die inzwischen ihre eigene NGO gegründet und zusammen mit zwei MitstreiterInnen ein eigenes kleines Asyl besitzt, möchte von dort einige Hunde abholen und zum Kastrieren bringen. Eli und ich begleiten sie, von Breznik über die Bundesstraße nach Pernik, dann auf die Autobahn, dann in das explodierende Sofia. Von dort ist es nicht mehr weit, eine umliegende Gemeinde beherbergt Rumis Reich. Zuvor aber treffen wir uns mit einer lokalen Tierschützerin, welche uns eine Hündin zeigen möchte, die ‚in Hitze‘ sein soll. Sie sollte deshalb augenblicklich sterilisiert werden, keine Frage. Zuvor aber entdecken wir noch zwei andere Streuner, gerade dabei, bei einem Laden den Abfallcontainer auszurauben. Einer ist aber eine Rüde, auf welche wir heute kein Hauptaugenmerk mehr legen können, die Hündin hat leider Babys – erkennbar an den großen, gereizten Zitzen. Wir legen Futter für die Beiden aus, versteckt, denn ansonsten würden die AnrainerInnen sich bitter beschweren. Hunde sind in den meisten Regionen keine gern gesehenen Gäste…
Nun kommt auch Rumis Freundin, gemeinsam suchen wir einige Gassen ab – finden können wir die gesuchte Hündin aber leider nicht. Da es nun schon langsam finster wird, brechen wir den Versuch ab. Vorbei an verfallenden Industrieanlagen, zerbrochenem Mauerwerk und vor sich hin rostenden Metallwänden sind wir nun endgültig am Weg ins Asyl. Und das ist den Frauen wirklich gut gelungen – wie schön sie es gemacht haben, mit aller Liebe gestaltet; glückliche rund 20 Hunde empfangen uns mit einer Freude, die ihresgleichen sucht.
Es bleibt aber keine Zeit sich lange aufzuhalten; die vier Ausgesuchten werden verladen und zurück geht es nach Breznik, rund 75 Minuten durch malerische Landschaften, unterbrochen von halbverlassenen Siedlungen und der Vergänglichkeit.
Zurück im OP-Saal, es ist nun schon wieder gegen 8 Uhr, werden alle vier Hunde sofort noch kastriert; morgen ist der letzte Einsatztag, und da wartet zu viel Arbeit, um sich auch noch mit den Bürden des Gesterns konfrontieren zu müssen. Didi und Konstantin, die beiden Koryphäen, nehmen sich der Herausforderung sofort an, und eineinhalb Stunden später ist auch diese Hürde geschafft. Ein letzter Check noch an allen PatientInnen, dann geht es endlich nach Hause. Aaaaber, plötzlich fällt die Stimmung in den Keller; eine Hündin zeigt offensichtliche Probleme, ihre Wunde blutet ein bisschen, die Schleimhäute zeigen eine extrem blasse Farbe. Notalarm! Letztendlich kämpfen die beiden Tierärzte eine Stunde lang ums pure Überleben, während wir anderen uns mit einfachen Arbeiten abzulenken versuchen. Manche stehen auch nur wie angewurzelt, die Augen geschlossen, in ein Gebet vertieft. Was genau passiert ist, wir wissen es nicht wirklich. Auf jeden Fall setzten innere Blutungen ein, die Naht muss deshalb nochmals geöffnet werden, der Bauchraum wird peinlichst genau untersucht. Blutstopper werden eingesetzt, alles Menschenmögliche getan, um das junge Leben zu retten. Manchmal, so erklären die TierärztInnen, gibt es bei Hunden eine Art Gen-Defekt, der sich ähnlich auszuwirken vermag wie eine Bluterneigung bei menschlichen PatientInnen. Aber anders als bei uns bleibt das Problem im Verborgenen, solange, bis eben ein Eingriff erfolgt, in diesem Falle die Sterilisation. So zumindest verstehe ich die Begründung der Veterinäre. Wie es auch immer sei, nicht zuletzt deshalb, wegen ihres unfassbaren Engagements und ihren Lösungsansätzen in kritischster Stunde, unterstreichen die Ärzte einmal mehr ihren so hohen Stand unter Eingeweihten. Hochkonzentriert trotz der so späten Stunden kämpfen sie unermüdlich, fast schon verzweifelt klammern wir uns nebenbei an die Hoffnung.
Dann das Durchatmen; die Patientin ist stabil, langsam kehrt Farbe in Schleimhäute zurück. Wir bereiten Wärmeflaschen, Infusionen werden verabreicht. Schließlich packen wir die Hündin in eine weiche, warme Box, sie wird mit nach Hause kommen, wo Didi sie nicht aus den Augen lassen und sich des Nachts weiter um sie kümmern wird! Manchmal geht das Schicksal seltsame Wege; hätte Eli nicht Didi, die heute etwas früher aufhören wollte, inständig gebeten, selbst zu so später Stunde noch die Hunde aus Rumis Shelter zu kastrieren (weil man eben weiß, am letzten Tag der Aktion wird ohnehin so viel Arbeit zusammenkommen, und daher ein Start ohne bereits wartende PatientInnen ein sehr gewünschter wäre), wären wir früher nach Hause gegangen; im Verborgenen hätten sich die Komplikationen bei der armen Hündin fortan entwickelt. Wir hätten nichts bemerkt, sie aber wäre am nächsten Tag ganz sicher nicht mehr am Leben gewesen…
Erst gegen 12.30 erreichen wir unsere Heimstätten. Völlig ausgelaugt, aber dennoch fast enthusiastisch – kaum jemand hätte mehr zu hoffen gewagt, dass sich das Schicksal vielleicht doch noch trotz düsterster Vorzeichen zum Guten wenden könnte…
Duschen, Essen, Computerarbeit machen, das Licht ausschalten. Es ist wieder 1.30 Uhr.

 

 

Foto: in allen möglichen und unmöglichen Behältnissen werden Tiere zum OP-Saal gebracht; Katzen in Säcken, Hunde an verrosteten Ketten, an Kabeln als Halsbändern, oder wie hier, an ‚Transportboxen‘ am Auto…
unten: ein Mann bringt siene Katzen in Obstkisten; Reihe zwei: Miljo geht es nicht gut; rechts: ein Mädchen bringt einen Welpen zum Entflohen; drittletzte Reihe: en junger Jagdhund wird immer wieder auf en Stück Wildschwein gehetzt; darunter: dieses Kätzchen, blutig, halbtot, wird von Kindern gebracht – Didi wird es retten können!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heute ist der letzte Tag der Kampagne. Aber die wichtigste Nachricht des Tages – der Hündin geht es den Umständen entsprechend gut! Sie wedelt schon wieder, wird gesund werden! Dank der magischen Hände von Didi und Konstantin!
Nachdem die Hunde versorgt sind, die Boxen gereinigt, verbringen wir eine Stunde mit dem Gassi gehen der PatientInnen. Noch eine ganz wichtige Aufgabe steht bevor; der Bürgermeister eines nahen Dorfes hat gerufen, es gäbe ein Abbruchhaus, wo bis vor kurzem alte Menschen gelebt hätten. Nach deren Tod blieben ihre Hunde zurück, vier an der Zahl. Und nun haben die DorfbewohnerInnen Angst, auch weil das Quartett nach wie vor den Garten verteidigt, aber umso mehr davor, dass alsbald eine Welpenschwemme einsetzen würde. So brechen Cosi, Rumi, Alex, ich und Bobbi, ein weiterer der so engagierten Tierschützer Bulgariens, auf, um wenigstens die Hündin einzufangen. Das Dorf selbst liegt einmal mehr am berühmten Ende der Welt. Vielleicht nicht ganz an deren, aber zumindest kann man es von hier aus bereits klar erkennen. Es ist halb verfallen, so wie die meisten Gemeinden im Umkreis, viele Häuser stehen leer. Da ist es wieder, das echte Bulgarien, ein Land der Ruinen! Dann sehen wir auch schon die Hunde. Bobbi kommt die Aufgabe zu, sie anzulocken; er meistert die Herausforderung bravourös, packt bei der ersten Gelegenheit die Hündin mit sicherem Griff und schon ist sie im Auto verladen. Bei den Rüden stellt sich die Angelegenheit als eine wesentlich schwierigere heraus. Sie sind extrem scheu, ziehen immer im letzten Augenblick zurück, nur um dann mit noch mehr Abstand als zuvor zurückzukehren. Ausgehungert wie sie sind, bleibt ihnen vielleicht keine andere Wahl, wollen sie heute noch ein bisschen Essen abbekommen. Letztendlich geben wir den Versuch auf; wir lassen eine Menge an Trockenfutter zurück und fahren schnellstmöglich zum OP-Saal. Nach der unvorstellbaren Leistung von fast 50 Kastrationen alleine gestern müssen wir heute zum einen früher abbrechen, zum anderen bleibt dann auch nicht mehr die Zeit die operierten Hunde an ihre Standorte zurückzubringen. Zumindest ein paar Stunden müssen sie in Gewahrsam bleiben, am besten über Nacht, aber wenn das – wie nun – nicht mehr geht, dann muss wenigstens solange gewartet werden, bis die Narkosewirkung ausgesetzt ist.
Zurück im OP-Saal; dort herrscht nahezu ein Gedränge vor, so viele freiwillige HelferInnen sind gekommen. Auch Aleko ist da, mein inzwischen schon fast langjähriger Freund aus Deutschland, der mehrmals im Jahr in Pernik seine Mutter besucht – selbstredend sind die beiden auch großartige TierschützerInnen, haben schon zahlreiche Leben gerettet.
Jetzt fahre ich zusammen mit Chris, ebenfalls ein Tierschützer, und wie die meisten ein solcher, der zusammen mit seiner Freundin Evelyn fast zwei Dutzend ehemalige Straßenhunde bei sich beherbergt und versorgt, in ‚Rumis Dorf‘, wir werden den Lieben zurückbringen, welchen Eli, Rumi und ich am Vortag gefangen hatten. Chris spricht super Englisch, er erzählt mir jede Menge Neues über die bulgarische Seele; natürlich ist auch die Korruption ein Thema, und da liegt offensichtlich derart Vieles im Argen, dass man nicht weiß ob man weinen oder lachen soll über die zahlreichen Geschichten von denen hier jedermann/frau weiß; wie beispielsweise eine Unsumme kommend aus der Europäischen Union völlig zweckentfremdet in allerlei Kanälen versickert. Jeder/m sind solche Dinge aus nächster Nähe bekannt, aber die Damen und Herren in Brüssel verschließen ihre Augen vor der absoluten Peinlichkeit. Zeigt man die Fälle auf, verschließen sie auch noch die Ohren. Will man mit ihnen darüber sprechen, folgt der Mund.
Wir entlassen im Dorf den Großen in die Freiheit, schweren Herzens. Der allerliebste Junghund ist uns so ans Herz gewachsen, aber es hilft alles nichts. Ein wenig Erleichterung schafft die Tatsache, dass nur eine Minute danach, wir in Traurigkeit verfallen, sein schwarzer Freund auftaucht (der die Tage zuvor übrigens ebenfalls  mitmusste zum Kastrieren und dann gestern wieder zurück durfte). 2 Kinder kommen den Weg entlang; später erfahren wir, die beiden wurden von einer herzensguten Frau im Dorf adoptiert. Als sie die Hunde sehen, verfolgen sie sie trotz deren Größe (jener der Hunde UND der Kinder) ansatzlos, setzen ihnen zu. Chris unterbricht das Spektakel, schimpft das Duo gehörig aus und legt ihnen nahe in Zukunft die Hunde in Ruhe zu lassen. Wir streuen eine Menge an Futter aus, dann sehen wir im Rückspiegel zwei allerliebste Hunde beim Mahl. Zurückgelassen in eine Welt der Traurigkeit, die so gar nichts ausser Kummer und Leid für sie zu bieten hat. ‚Fluch der Geburt‘, nennt der deutsch Philosoph Dr. Bleibohm die Tragödie beim Namen, und in diesem Falle zeigt sich einmal mehr die Richtigkeit seiner Aussage.

 

 

 

 

 

 

Ich bin gerade dabei Müll zu den Tonnen entlang der Straße zu tragen, als mir von der gegenüberliegenden Seite Bobby zuschreit; ein Hund ist dort, extrem hungrig. Vielleicht gelingt es uns noch, auch diesen einzufangen? Ich laufe zurück, hole Trockenfutter, bin zwei Minuten später an Bobbys Seite. Dieser hat das arme Tier bereits fast in Griffweite, das Trockenfutter ermöglich ihm schließlich, den Hund an den Seiten zu streicheln. Jetzt ist die einzige Chance – und Bobby packt zu. Aber dieser Hund wehrt sich aus Leibeskräften, er beiße um sich, und trotz der dicken Handschuhe tropft das Blut des Tierschützers zu Boden, zuerst nur sanft, dann im Strom. Er hat eine heftige Bisswunde abbekommen, soviel steht fest! Dennoch hält er den nun wie um sein Leben Kämpfenden fest – welcher Mut! Ich laufe schnellstens zum OP-Saal, zusammen mit dem alarmierten Alex packen wir eine Box und sind schon wieder am Weg über die Straße. Noch aber ist nichts geschafft, denn jetzt müssen wir den sich so heftig Wehrenden erst in den Käfig befördern. Dabei beißt er sich nochmals los, ich bekommen die Hinterfüße zu greifen, hebe sie hoch. Der Dank ist ein Zahnabdruck in der Hand, Gott sei Dank nur schmerzhaft und wenig tief. Zu guter Letzt schaffen wir das fast Unmögliche; der Hund findet sich in der Box wieder, und wir betrachten erst einmal atemlos unsere Wunden. Bobby hat es schon wirklich schlimm erwischt, der Finger wird morgen und die nächsten Tage jedenfalls nicht zu gebrauchen sein. Es gebührt ihm größter Respekt – wer je eine solche Situation miterlebt hat, weiß, wie sehr der Instinkt in einem bohrt, der immer wieder sagt: loslassen, loslassen! Aber der Tapfere wich keine Sekunde zurück, und selbst als der Hund schon so gut wie frei war, schaffte er es dennoch – trotz der verletzten Hand – ihn am Hinterfuß festzuhalten. Eine unfassbar furchtlose Leistung!
Ich fahre nun mit Rumi nochmals zu ihrem Shelter. Auch Eli ist wieder mit dabei, wie gut es tut, sich stundenlang nur Englisch zu unterhalten! Noch dazu mit derart liebgewonnen FreundInnen!
Wir bringen die gestern geholten vier Hunde zurück, alle sind sie wohlauf.  Ein Wort noch zum Shelter selbst – es ist ein Platz der Ruhe, des Friedens. Trotz der unsagbar traurigen vereinten Schicksale, die Wände liebevoll gestaltet mit selbstgemalten Bildern, sauber, mit Wasserleitungen versorgt, und zwar jedes einzelne Gehege. Ja, der Platz ist nicht groß, aber er rettet Leben, wie viele, das werden wir am Ende der Tage wissen! Es werden aber mehr sein als die meisten anderen Menschen überhaupt nur erahnen können!
Am Weg nach Breznik fahren wir bei einem Tier-Konzentrationslager vorbei. Es befindet sich leider sehr knapp neben Rumis Asyl, so könnte eine Recherche hier böse Folgen für die Hunde haben. Mit Gift und Gewehr, da sind die Tierquäler sehr schnell bei Fuß! Vielleicht ergibt sich bei einem Einsatz außerhalb des Kastrationsprojektes die Möglichkeit einer näheren Inspizierung, dann wenn der Verdacht nicht sofort auf die lokalen TierschützerInnen fallen würde; einen Blick in die Anlage kann ich mir aber nicht verwehren – es ist ein Ei-Betrieb, tausende Hühner fristen in dunklen Hallen ein elendes Dasein…
Was für ein Tag; kaum zurück in Breznik, sitze ich schon wieder im Fahrzeug; dieses Mal, erneut mit Chris, werden wir die Hündin zurückbringen, welche wir mit Bobby in der kleinen Ortschaft gefangen haben. Fahrten mit Chris sind tief entspannend, trotz aller erdenklicher Mühe, einfach, weil es so viel Interessantes zu erzählen gibt! Die beiden Rüden warten bereits auf ihre Freundin, und es ist ein wohltuender Anblick, das Trio wieder vereint zu sehen!
Es wird bereits finster als wir erneut den OP-Saal erreichen. Alex und Cosma sind schon gegangen, sie haben jetzt eine neue vierbeinige Begleiterin, auf die sich Acht geben müssen! Übrigens, Hund und auch das Kätzchen, welches noch immer bei mir im Apartment wohnt, werden morgen mit den beiden den Weg nach Österreich antreten; das Baby in der Katzentragetasche im Passagierraum, der Hund in einer Box im Frachtraum! Einfach toll!
Jetzt gilt es noch den Saal zu reinigen. Zwei Dutzend Hände helfen zusammen, und gegen 8 Uhr Abends erstrahlt der Raum in neuem Glanz. Wir hinterlassen ihn so wie wir in vorgefunden haben – selbst das letzte Stück Abfall wird mitgenommen!
Die Verabschiedung ist wie immer eine besonders herzliche. Wie soll es auch anders sein, wir sind keine FreundInnen, wir sind inzwischen längst Familie!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nachtrag: Unglaubliche 132 Kastrationen haben wir an den vier Tagen geschafft, was uns mit großem Stolz erfüllt. Der Einsatz des zusammengeschweißten Teams sollte erneut ein nicht zu toppender sein, das Gefühl, es hier mit Menschen zu tun gehabt zu haben, deren Kitt im Zusammenhalt die Tierliebe ist, ist ein überwältigendes. Alle Tiere sind wohlauf, es gab dieses Mal überhaupt nur sehr wenige Komplikationen (wie Medikamentenreaktion oder dergleichen), welche dann auch noch, wenn passiert, allesamt glimpflich verlaufen sind. Ach ja, und auch das Wetter hat entgegen aller Prognosen, einfach bestens mitgespielt. Erst am Freitag sind Wolken aufgezogen, am Samstag und Sonntag ein paar Regentropen gefallen, aber sonst – einfach perfekt! Ein dickes Bussi an den Wettergott!
An die 900 Hunde und Katzen haben wir nun in Breznik schon kastriert, und jedes Ende eines Kastrationsprojektes ist bereits wieder der Anfang des nächsten. So ist beim Abschied die häufigst gestellte Frage jene, wann wir uns alle wiedersehen werden! Mit Ihrer Hilfe sind wir dazu jederzeit bereit!!!

 

 

 

 

 

 

 

Montag, der erste Tag seit langem, welchem ganze 7 Stunden Schlaf vorangegangen sind! Ich war heute Nacht nur zusammen mit dem Kätzchen im Appartment, Cosma und Alex sind mit ihrem vierbeinigen Schützling bereits nach Sofia gewandert; sie werden heute heimfliegen, müssen aber davor noch eine Menge Dinge besorgen, wie zum Beispiel eine Hundebox! Nach zwei Stunden Computerarbeit treffe ich mich mit Aleko, endlich. Während des Projektes gingen sich nur flüchtige Umarmungen aus, jetzt haben wir endlich etwas Zeit zu reden!
Aber natürlich ist das nicht der Grund unseres Treffens, wir wollen heute die allgemeine Straßentiersituation in Pernik ansatzweise ausloten. So begeben wir uns alsbald zu einer kleinen Wohnung, wo seine Mutter ein zu Hause hat. Auch sie ist eine unfassbar begnadete Tierschützerin, ja sie lebt für ihre Schützlinge, vergisst dabei völlig auf sich selbst. Wir möchten eine Runde in der Umgebung drehen, wobei sich uns sofort eine Hündin anschließt. Sie ist bereits kastriert, lebt seit ca. 2 Jahren um den Block. Viele Hunde haben Aleko und seine Mam seither sterben gesehen, regelmäßig werden Tötungskampagnen gestartet; versteckt von den Behörden, offen durchgeführt von der Zivilbevölkerung! Ich möchte sie hier nicht mit den grausamsten Geschichten belasten, da erzählt werden; die Realität ist eine furchtbare, aber sie wird nicht besser dadurch, dass man sich in Wut und Trauer verliert.
Daniela, Alekos Mutter, kümmert sich voller Inbrunst seit vielen Jahren um die Straßenhunde; zurzeit gibt es neben Pepi, welche wir Ihnen schon vor Wochen zur Vermittlung vorgestellt hatten, auch noch 4 Welpen im Haushalt. Diese sind nicht viel mehr als 2 Wochen alt, von einem reichen Sprössling gleich hinter dessen Tennisanlage in einem Sack weggeworfen worden! Pepi hat die Kleinen im letzten Moment erschnüffelt, fast ausgekühlte Tierkinder sind daraufhin die die Wohnung der herzensguten Frau eingezogen.
Zusammen mit der Straßenhündin gehen wir eine Runde um die Blocks; jeder Winkel zeugt von einer Tragödie, da die Stelle, wo Menschen direkt neben Daniela einen Hund erschossen haben, dort die kleinen Kellerfenster, welche von Katzen zur letzten Zuflucht genutzt werden – nur um im Raum dahinter vergiftet zu werden. Selbst vor den Bäumen und dem Gras wird nicht mehr Halt gemacht, meint Alekos Mama mit Tränen in den Augen, den Mächtigen gefällt es, das Gras mit Chemikalien zu besprühen. Warum? Damit es weniger wächst, und somit die Profite aus den Wohnanlagen größer werden, weil man sich das regelmäßige Mähen spart. Ob es den Menschen besser gehe seit dem Fall des Kommunismus? Einhellig antworten die Beiden: damals hatte wenigstens ein jeder zu Essen, jeder eine Wohnung, jeder Eine Arbeit. Es gab keine Obdachlosen, keine Hungernden; alle hatten wenig, aber sie hatten wenigstens ein Heim und regelmäßige Mahlzeiten. Heute ist das anders; während der Großteil der Bevölkerung von der Hand im Mund lebt, prassen ein paar wenige Glückliche mit ihrem neuerworbenen Reichtum. Der dann immer, IMMER, auf illegalem Wege zustande kam. Wie kann man mit den kleinen Gehältern überleben, will ich wissen. Ein Durchschnittslohn beträgt rund 400 Euro, sehr viele arbeiten aber für 150 oder sogar darunter. Bei einem Preisniveau, welches sich von unserem kaum unterscheidet! Man kann es damit kein Auskommen schaffen, höre ich; man muss sich auf ‚Zusatzgeschäfte‘ spezialisieren…
So viel gäbe es zu erzählen, aber dafür reicht der Platz nicht; die Geschichten könnten Bücher füllen! Da der Newsletter ohnehin schon jetzt viel zu lang geraten ist, beschränke ich mich deshalb auf das Nötigste. Wir kommen an der Stelle vorbei, wo Daniela die Welpen fand. Am Bahnhof, der mehr in einem Western-Film passen würde, leergefegt, von Wind und Wetter zerrüttet, nie modernisiert, nie renoviert, gibt es eine Wartestelle: dort hatten sich immer Schwalbennester befunden, aber die gelegentlichen Putztrupps – jene Menschen, welche mit 100 Euro im Monat abgespeist werden – vernichten die Nester im ersten Auftauchen – warum? Weil die Vögelchen den Boden darunter beschmutzen, für dessen Reinhaltung wiederum sie zuständig sind. Keine Vögel, kein Putzen, so einfach ist die Rechnung. Doch heuer, Daniela erzählt mit unheimlicher Begeisterung, ist ein Nest wie durch ein Wunder übriggeblieben. Jeden Tag hat sie dort verweilt, teils betend, immer hoffend. Und tatsächlich befindet sich die Behausung noch immer am verrosteten Balken, die Kleinen längst am Weg in den Süden. Wunder gibt es doch noch.

 

 

 

 

 

 

Nun geht die Exkursion durch eine letzte kleine Wildnis, zwar abfallgesäumt, dennoch wunderschön, fast mystisch. Vorbei an den Ruinen eines ehemaligen Wasserwerkes, wo wir auf einen obdachlosen Mann treffen; Aleko erzählt mir, der Gute würde sich immer um die Hunde kümmern, immer in Sorgen über deren Schicksal sein. Stolz zeigt uns der Unbegütete die heutige Ausbeute aus einem Müllcontainer; drei, vier Stück Wasserleitungsteile, ein Hahn, zwei Rohrverbinder. Ein paar Cent würde er dafür schon kriegen. Ja, es gäbe unter den Angehörigen seiner Volksgruppe, der Roma, schlechte Menschen; genauso wie unter den Bulgaren. Aber wenn es darauf ankommt, dann würden sich unter den Bulgaren kaum Gute finden, wohl aber unter den Roma, erläutert Aleko mit von offensichtlicher Erfahrung geprägter Stimme.
Wir kommen an einen ehemaligen Prachtbau verbei, ein altes riesiges Kulturhaus. Es steht noch immer, nach 60 Jahren ohne Instandhaltungsmaßnahmen, gebeugt aber nicht gebrochen. Die Fenster sind entwendet oder zerschlagen, anstelle von Türen sind Bretter vernagelt. Aber ungeachtet dessen versprüht es immer noch mehr Charme und Wärme als die neuen Fertighallen, die überall errichtet worden sind. Und obwohl die Zeichen der Zeit unablässig an den Grundfesten nagen, das Haus wird immer noch stehen, wenn diese längst in sich zusammengefallen sind…
An der überdachten Vorderfront finden sich mehrere Bettstellen; alte Decken, Motten- und Mäusezerfressen, sollen frierende Körper vor dem nahenden Frost schützen. Wer sonst, wenn Vater Staat dieser eigentlich so selbstverständlichen Aufgabe so ganz und gar nicht nachkommt!
Daniela packt ihren Rucksack aus; zwei Hunde müssen gefüttert werden; die gute Frau streichelt sie ausgiebig, bevor die Leckerbissen verteilt sind – von uns lassen sich die Wunderhübschen übrigens nicht anfassen. An weiteren Stellen wiederholt sich die Szenerie, vorbeihuschende Menschen beobachten argwöhnisch die zur Schau gestellte Liebe zu den Mitgeschöpfen. Zu offen darf man die allerdings nicht zeigen, Repressalien oder gar Anschläge auf Leib und Leben könnten die Folge sein. In hochmafiöser Umgebungsstruktur, wir glauben der Frau jedes Wort!
Daniela muss uns jetzt verlassen; sie ist Biologin, arbeitet für ein paar Stunden die Woche an der Uni – welche eigentlich ihren Betreib eingestellt hat, wie all die Metall- und Bergbaufirmen ringsum, sogar die staatliche Bibliothek wurde an den Bestbieter verkauft (Bestbieter ist immer jener, der die meiste Macht hinter sich vereint) – wo wir sie später abholen werden.
Aleko und ich gehen nun in die Wohnung, die vier Welpen müssen mit Milchaustausch versorgt werden. Wie einfach so viele Menschen hier leben, es ist kaum vorstellbar. Immer wieder kommt mir in den Sinn, wieviel ‚bei uns‘ gejammert wird; man sollte sich diese Lebensumstände ansehen, und dann seine eigene Lage neu beurteilen. Vielleicht würde das ständige Klagen dann ein bisschen aufhören…  Pepi begrüßt uns herzallerliebst, die Hündin hat ein schweres Leben hinter sich; ein Auge wurde ihr ausgeschlagen, der Schwanz halb abgetrennt, als man sie fand; fast hätte ihr die Entzündung das Leben gekostet, nagte sie doch ständig an der sich immer mehr ausbreitenden Wunde. Letztendlich musste amputiert werden, nur mehr ein Stummel blieb zurück. Trotz allem hat sie ihre Liebe zu den Menschen nicht verloren; welch sonderbare Wesen!
Die Kleinen sind unfassbar süß; wer kann solche Babys dem Tod preisgeben? Wer, der über ein bisschen Herz und ein bisschen Hirn verfügt? Die Antwort ist eine einfache…
Wir bereiten das Babygetränkt, füttern sie alle mit dem Fläschchen. Welche Arbeit das bedeutet, 10 mal am Tag, dazu all die anderen miteinhergehenden Aufgaben, die es zu lösen gilt – Daniela kann und muss wirklich stolz auf sich sein.
Noch folgt ein Spaziergang mit Pepi, die uns jetzt über ihre Route führt; die Straßenhündin von vorhin, sie folgt die ganze Strecke ‚bei Fuß‘, ganz so, wie sie es jeden Tag macht. Aleko macht sich große Sorgen um sie; ja, es ist nur eine Frage der zeit, bis sie tot aufgefunden werden wird, wie all ihre WegbegleiterInnen zuvor – wie sie es schon seit 2 Jahren schafft, den überall anwesenden Häschern auszuweichen, ist ein Rätsel.
Jetzt müssen wir aber weiter, das Kätzchen abholen und dann zu Cosi und Alex zum Flughafen – es ist Reisezeit für die Süße! Sie scheint das alles rundherum, ihre ganze Welt, die sich tagtäglich völlig verändert, fast zu genießen. Jedenfalls schläft sie am Flughafen bereits tief und fest. Eine derart ausgeglichene Katze, ich habe so eine nie zuvor erleben dürfen.
Jetzt aber kommen erst die wirklichen Probleme auf uns zu – die Box, welche die Beiden gestern für ihre neue vierbeinige Begleiterin gekauft hatten, ist der Zuständigkeit zu klein! Unfassbar, wenige Zentimeter, aber solche Auswirkungen. Menschen, in deren Umgebung täglich Straßenhunde brutalst ermordet werden, sie mokieren sich nun an der angeblich fünf Zentimeter zu niedrigen Hundebox! Für einen Flug von knappen eineinhalb Stunden.
Die Zeit wird nun äußerst knapp – in 40 Minuten muss die Hündin verladen sein, sonst darf sie nicht mitkommen! Es nützt alles nichts, die Aufregung ist groß. Letztendlich aber, faktisch fünf Minuten vor Zwölf, oder besser drei vor der Deadline., kommt ein Mann auf Rumis Anruf, der in solchen Situationen hilft – natürlich nicht selbstlos. 145 Euro sind für die passende Box zu berappen, aber die bezahlen die Lieben gerne. Alles gut, Hund verladen, Kätzchen schläft – die Heimreise kann angetreten werden! Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit den Vieren, hoffentlich in wenigen Tagen!
Es ist bereits finster, als wie den Flughafen verlassen; dazu sind die Autobahnen verstopft, beleuchtet vom beginnenden Vollmond. Alekos Mama muss noch abgeholt werden, aber dann geht es ‚heimwärts‘. Mir ist direkt unwohl ohne das Kätzchen, muss ich zugeben…
Schon zu Mitternacht ruft heute das Bett – wie wohltuend!

 

 

 

Foto: buchstäblich im letzten Moment ist es doch noch geschafft – Alex verabschiedet Julie, die in ihrer Box im Flugzeugbauch verschwindet!

 

Der neue Tag beginnt erneut mit viel Sonnenschein – das Wetter hat sich wirklich viel besser entwickelt als erwartet, im Fakt war es die ganzen Tage über geradezu großartig. Warm am Tag, kühl während der Nächte, kaum Regen. Herz, was willst Du mehr?
Aleko holt mich frühmorgens, wir werden heute nach Blagoevgrad fahren. Er möchte mich dort einem jungen Mann vorstellen, welcher es als Tierschützer zu einem höheren Bekanntheitsgrad gebracht hat. Bojko heißt der Hundefreund, und er ist Angehöriger der Roma-Familie. Außerdem, so seine bemerkenswerte Geschichte, ist er Waise. Von den Eltern bald nach der Geburt in einem Waisenhaus abgegeben, wurde er von dort später von einem amerikansichen Ehepaar adoptiert. Das Paar lebte aus beruflichen Gründen in Bulgarien, hohe Angestellte, sie besuchten Bojko über ein Jahr hinweg ständig im Heim. Auch die MitbewohnerInnen das Jungen profitierten von der Situation; Geld war vorhanden, und so wurden die Kinder zu Ausflügen eingeladen oder mit Süßigkeiten beschenkt. Dann kam der Tag der Heimreise; die Adoptionspapiere waren fertig ausgestellt, eine Dolmetscherin begleitete die kleine Familie zum Flughafen. Dort aber begann Bojko zu schluchzen, schließlich laut zu weinen. Aus irgendeinem Grunde konnte das Ehepaar die Situation nicht bewältigen – letztendlich drückten sie Bojko der Übersetzerin in die Arme und flüchteten geradewegs ins Flugzeug; auf nie mehr Wiedersehen. Alles, was geblieben ist, sind einige verblichene Fotos.

Bojko ist heute 30 Jahre alt; mit 12 hat er begonnen sich um Straßenhunde zu kümmern; waren sie doch Waisen, genau wie er, sagt er mit trauriger Stimme. Viele Jahre arbeitete er nun in verschiedenen Herbergen mit, überall, so denkt er heute, wurde seine Geschichte für den Zweck benutzt, aber seine Person, sein Ich, wenig geachtet. Nun hat er zusammen mit FreundInnen eine eigene NGO, dazu ein Grundstück, welches ein Bekannter kostenlos zur Verfügung stellt. Dort baut er an seinem Traum; er fertig Hundehütten selbst an, baut Zäune, errichtet weiträumige Zwinger. Alles in Handarbeit.
Erneut aber ziehen nun dunkle Wolken am Horizont auf – das Gelände wird zurückverlangt und Bojko ist auf der Suche nach einer neuen Unterkunft für seine Schützlinge.
Das ist in kurzen Worten die einerseits todtraurige, aber andererseits sehr hoffnungsspendende Geschichte; wenn es ein Mann aus einfachsten Verhältnissen, ohne jede Unterstützung, sich zum Lebenszweck gemacht hat Hunde zu retten, dann können wir nur ehrfürchtig den Kopf neigen. Gott persönlich, so sagt er, hat ihm als Teenager den Auftrag dazu gegeben.
Wir treffen Bojko an seinem Wohnort; er darf in einem winzig kleinen Häuschen leben, im Hintergrund ein altes, längst geschlossenes Museum. Dort, sie werden es ahnen, lebt er in bitterster Armut. Zuerst aber empfangen uns seine mit ihm lebenden Hunde; es sind 7 an der Zahl. Sie sehen gut aus, obwohl jeder einzelne eine besonders schreckliche Vergangenheit aufzuweisen hat. Warum sie gerade sie hier und nicht ebenfalls in seinem Asyl? Weil sie entweder zu alt oder zu jung für die Herberge wären, dort den harten bulgarischen Winter kaum überleben könnten. Streicheleinheiten lieben sie jedenfalls, alle zusammen.
Eine alte, modernde Holz-Eingangstür führt den/die BesucherIn in einen winzigen Vorraum mit einer längst in die Jahre gekommenen Abwasch; geradeaus ist das Badezimmer, ebenfalls winzig, ein Schlauch zum Duschen an der Wand, eine gelbliche Kloschüssel inmitten. Von den Wänden bröckelt der Putz, die Böden sind verbraucht. Dann gibt es noch einen größeren Raum, vielleicht 7, 8 Quadratmeter groß. Darin stehen zwei Schlafsofas, wo Bojko zusammen mit den Hunden nächtigt (oft nimmt er auch obdachlose Menschen zusätzlich für Tage oder Wochen auf). Es gibt einen Fernseher, ein altes rund 40cm-Röhrenbildschirmgerät. Sonst herrscht gähnende Leere vor, wo er seine Kleidung aufbewahrt, ich weiß es nicht. Viel davon wird er aber auch bestimmt nicht besitzen.
Nachdem wir uns eingehend unterhalten haben, zeigt uns Bojko das von ihm ausgewählte Grundstück; kaufen müsste es jemand anderer, denn der Besitzer hat schon verlautet, an Roma würde er nicht verkaufen… Dann begeben wir uns zum Tierheim selbst; es liegt außerhalb, wie die meisten dieser Orte, umgeben von einer Müllsammelstelle und einem Automechaniker-Platz. Fahrzeugleichen rosten vor sich hin, der Geruch nach Altöl und der Schmutz beherrschen die Umgebung. Außerhalb der Umzäunung befinden sich einige Hunde; manche davon in fürchterlichem Zustand. Bojko füttert sie mit, hineinlassen in sein Reich kann er sie aber nicht. Zu groß wäre die Gefahr einer Ansteckung für die seinen, und dann gehören die Tiere auch noch zum städtischen Tierheim. Angestellte von dort, so hören wir, sind eines Tages gekommen und haben die Tiere einfach ausgeladen, vor den Toren des Asyls ihrem Schicksal überlassen.

 

 

 

 

 

 

Bojko hat auch zwei MitarbeiterInnen; ein Mann und eine Frau, beide ebenfalls in prekären Verhältnissen lebend, sie bekommen von Bojko rund 150 Euro für ihre Dienste. Gerade sind sie mit dem Aufsammeln von Hundekot beschäftigt, Wasser wird aus einem großen Plastikbehälter entnommen und den Hunden gebracht. Die Schar ist übrigens in sehr, sehr gutem Zustand, in besserem, als wir es bei so vielen anderen solchen Plätzen gesehen haben. Alle sind sie freundlich, begrüßen uns, umschwärmen uns. Nur ein riesiger Hund hängt an der Kette, er wird aber alsbald freigelassen. Des Nachts über muss er ‚angeleint‘ sein, weil er eine Tendenz hat, andere anzugreifen. Jetzt wird er aber befreit, der Bär trottet auf uns zu und genießt jede Streicheleinheit.
Einige Hunde sind in den großräumigen Zwinger, auch sie werden nun allesamt rausgelassen. Bojko füttert, bringt Wasser, stopft Pillen in die Münder jener, welche in medizinischer Obsorge stehen. Er ist ausgebildeter Tierarzthelfer, erklärt er stolz, und er würde bis auf OP’s fast sämtliche Behandlungen selbst durchführen.
Aleko hat Bojko beim letzten Besuch ein Auto gekauft; dieses macht nun Probleme, mein Freund wird es zurück nach Sofia nehmen und dort reparieren lassen.
Nachdem wir uns von den Hunden ausgiebig verabschiedet haben, Aleko Mitbringsel wie Käse und Schokolade verteilt hat, sitzen wir noch kurz in einer Gaststätte, um unsere Eindrücke zu besprechen. Wie und ob wir Bojko unterstützen können, wir werden es überlegen!
Kurz gehen wir noch durch die Stadt, Medikamente sollen besorgt werden. Dass der Ort ein großes Straßentierproblem hat, wird schnell klar. Überall begegnen uns Hunde sowie Katzen, es ist wirklich unfassbar. Ein Fass ohne Boden, mögen PessimistInnen meinen, eine Herausforderung natürlich, aber eine, die geschafft werden muss, entgegen OptimistInnen.
Nun, es ist bereits fortgeschrittener Nachmittag, lenke ich Alekos Auto in Richtung Sofia; er fährt den gekauften, offensichtlich angeschlagenen. Bei einer Tankstelle halten wir eine Stunde später; der Spritverbrauch war angekreidet worden und tatsächlich hat der Alte 12 Liter Gas auf nur 70 Kilometer Strecke verbraucht…
Wir beide verabschieden uns nun; ich kann mit Alekos Auto zu mir fahren, es morgen noch für Erkundungen nutzen. Aber wir werden uns schon am Abend wiedersehen, dann soll auch Emo kommen, mein alter Freund aus Sofia, der so eine unverzichtbare Hilfe beim Kastrationsprojekt gewesen wäre, leider aber am Vorabend der Aktion erkrankte!

Kaum ist Emo da, wir fallen uns gerade in die Arme, ruft Aleko – zwei Hunde sind bei seinem Wohnblock ermordet worden!!! Sofort fahren wir los, es wird einen Polizeieinsatz geben. Als wir am Tatort ankommen, sind die Uniformierten schon da, das Gelände ist gesichert. Es handelt sich nun um eine ‚Creme Szene‘, Zutritt verboten. Ärgerlich, denn wir hätten den Wahnsinn dokumentiert, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist, wie es immer ist in diesem Land; der Polizist gibt sofort zu verstehen, viele Menschen hätten Angst vor Hunden und wieder einmal sind imaginäre Kinder irgendwo gebissen worden; Verständnis für den Täter… was soll man da dann erwarten? Unfassbar! Einige Meter vor uns liegen sie, inmitten eines Parks. Eingerollt in Stoffe, entsorgt; zwei junge Huskys, ausgelegt zur Ansicht, sagt die inzwischen ebenfalls angekommene Daniela, Alekos Mam. Gut sichtbar als Warnung hinterlassen für alle HundehalterInnen der Umgebung…
Was ist das für eine Welt in der wir leben???

Emo bringt mich dann zurück nach Hause; hier können wir ohnehin nichts mehr tun. Wir sitzen noch lange zusammen, und es tut unendlich gut einen wahren Freund an der Seite zu wissen, besonders in jenen Stunden, die so furchtbar traurig sind.

 

 

 

 

 

 

 

Kaum ist Emo da, wir fallen uns gerade in die Arme, ruft Aleko – zwei Hunde sind bei seinem Wohnblock ermordet worden!!! Sofort fahren wir los, es wird einen Polizeieinsatz geben. Als wir am Tatort ankommen, sind die Uniformierten schon da, das Gelände ist gesichert. Der Platz handelt sich nun um eine ‚Creme Szene‘, Zutritt verboten. Ärgerlich, denn wir hätten den Wahnsinn dokumentiert, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist, wie es immer ist in diesem Land; der Polizist gibt sofort zu verstehen, viele Menschen hätten Angst vor Hunden und wieder einmal sind imaginäre Kinder irgendwo gebissen worden; Verständnis für den Täter… was soll man da dann erwarten? Unfassbar! Einige Meter vor uns liegen sie, inmitten eines Parks. Eingerollt in Stoffe, entsorgt; zwei junge Huskys, ausgelegt zur Ansicht, sagt die inzwischen ebenfalls angekommene Daniela, Alekos Mam. Gut sichtbar als Warnung hinterlassen für alle HundehalterInnen der Umgebung…
Was ist das für eine Welt in der wir leben???

Emo, immer noch von der vorangegangenen Krankheit gezeichnet, bringt mich dann zurück nach Hause; hier können wir ohnehin nichts mehr tun. Wir sitzen noch lange zusammen, und es tut unendlich gut einen wahren Freund an der Seite zu wissen, besonders in jenen Stunden, die so furchtbar traurig sind.

 

 

 

 

Fotos: die Polizei sit am Tatort, unternehmen wird sie leider wohl nicht wirklich etwas. Die beiden ermordeten Husky, daneben eine Anzeige von vor wenigen Tagen, wo ein Husky entwendet worden war – handelt es sich dabei um eines der nun toten Tiere?

 

Heute ist der Tag der Abreise. Irgendwie überkommt mich Wehmut, so viele Tiere, denen geholfen werden muss, und so wenige Menschen, welche sich dieser Aufgabe annehmen möchten. Die wenigen die es tun, es ist der ewige Kampf gegen Windmühlen, dessen sie sich verschrieben haben. Aber egal was auch immer passieren mag, einst werden sie voller Stolz und aufrechten Hauptes einem gerechten Gott gegenübertreten, der sie für all die Mühen entlohnen wird.
Ich kaufe hastig Hundefutter, dann fahre ich zurück nach Breznik, unserer ‚Kastrationshauptstadt‘. Dort suche ich all die Plätze, wo wir die letzte Woche über so viele Hunde gesehen hatten. Es zerreißt das Herz, sie selbstredend in derselben Misere wiederzufinden. Den Kampf, den sie fechten, es ist einer ums bloße Überleben, Tag für Tag für Tag. Auch einige unserer PatientInnen kommen auf mich zu. Allen traurigen Gedanken und Sorgen zum Trotz haben sie uns den für sie bestimmt angsteinflößenden, irritierenden und letztendlich auch vieles verändernden Vorgang offensichtlich nicht übelgenommen; tatsächlich, und das ist ein oft beobachtetes Phänomen, sind sie nun sogar weniger scheu – so zum Beispiel beruhigt sich die kleine Schäferhündin kaum, schleckt immer wieder mein Gesicht, vergisst dabei fast auf das mitgebrachte Futter. Eigentlich, so überlege ich immer, müssten sie uns doch als grausame VerräterInnen betrachte; wir, die wir sie doch so täuschten, ihre Notlage, ihren Hunger ausnützten, nur um sie danach einzufangen und einer für sie völlig unverständlichen Operation zu unterziehen. Dennoch sind sie so unfassbar nett; wer mag es verstehen? Hunde sind eben Götterboten, Engel, welche uns so viel lernen könnten. Unzerreißbare Freundschaft, tiefste Liebe, bis in den Tod hinaus, bedingungslose Treue und letztendlich sogar eine unfassbare Fähigkeit zum Verzeihen. Nein, sie sind nicht nur die besten Freunde der Menschen, sie wären ohne jeden Zweifel sogar  die besseren Menschen. Aber andererseits, wahrscheinlich sind sie sehr zufrieden mit dem was sie sind. Es ist auf jeden Fall mehr, als die allermeisten von uns je erreichen werden. Sie sind allesamt nämlich echte Persönlichkeiten, nicht ziellose Wesen wie wir, die sichimmer mehr im Einheitsbrei auflösen…
Ich fahre noch in die Ortschaft wo Rumis Mama wohnt, möchten den großen Sechszehigen noch einmal sehen; vorbei geht es an beinahe-Geisterstätten, der Zerfall regiert diesen Teil der Welt wie kaum anderswo. Überall Hunde neben den Straßen, tote finden sich zuhauf (besonders auch auf der Autobahn von Sofia ausgehend). Ein Kätzchen dürfte gerade eben überfahren worden sein; ich bleibe stehen, ein Mann mit Fahrrad ebenfalls; unsanft stößt der das tote Tier mit dem Schuh zur Seite, nicht unfreundlich, eher unberührt.

In Rumis Dorf finde ich den Gesuchten leider nicht; dafür aber ihre Mama, die gerade beim fahrenden Verkäufer – die Hintertür des Vans geöffnet, in verschiedenen Kisten befinden sich verschiedene (Über-)Lebensmittel – die Dinge des täglichen Bedarfs einkauft. Ich unterhalte mich mit der so netten Frau kurz, spiele mit ihren zwei Hunden, dann muss ich aber endgültig zurück!
In Breznik halte ich noch kurz – keine Ostreise  ohne Protest! Ich stehe gerade mal einige Minuten im Todeskostüm an der Straße, als eine Stimme meinen Namen ruft – tatsächlich, es ist der Journalist, welcher jedes Jahr eine große Story über den Einsatz bringt! Er freut sich sehr, fotografiert selbst, und stellt sich dann sogar zu mir! Hier sein späterer Bericht:

В БРЕЗНИК: Австриец се дегизира като смъртта и призова: Спрете с убийствата на бездомните кучета – сега!!!


Es nützt aber alles nichts, jetzt muss ich mich längst mehr als beeilen – die Zeit drängt!!!

 

 

 

 

 

 

 

 

Zurück in Pernik packe ich meine Sachen, überhastet. Wieder einmal wird es richtig eng. Bald kommen auch die Vermieter, ich geben die Schlüssel zurück, verabschiede mich freundlich, und dann fahre ich auf direktem Wege zu Aleko. Der wartet schon auf mich, denn wir möchten noch einen Protest bewerkstelligen; an jenem Ort nämlich, wo gestern die beiden Huskys ermordet worden sind. Bald sehen die vorbeieilenden Menschen Gevatter Tod, ‚Stop Killing Dogs!‘, prangt in riesigen Lettern am Transparent! Tatsächlich ist heute nur hundert Meter vom Tatort entfernt schon wieder eine Tragödie passiert – Kinder hatten einen Hund in den Fluss geworfen, und eine Menschenansammlung versuchte ihn zu retten. Gerade als ich vorbeifuhr, konnten mehrere Jungs das arme Tier dem Wasser entreißen. Ich freue mich riesig.
Jetzt geht es in Richtung Sofia; Aleko muss die Hundewelpen, jene, die wir gefüttert hatten, in eine sichere Unterkunft bringen. Die Aufgabe – er muss ja auch schon in wenigen Tagen wieder zurück nach Deutschland – ist eine übermächtige geworden. Dem Himmel sei Dank ist das ‚Animal Rescue Center‘ nur unweit des Flughafens, denn ein Blick auf die Uhr hinterlässt echte Sorgenfalten – ob sich das alles noch ausgeht? Es wäre, aufmerksame RespekTiere-LeserInnen wissen es – nicht das erste Mal, dass ich ein Flugzeug versäumen würde… Wir verfahren uns sogar nochmals, aber zu Guter Letzt finden wir die Bastion der Menschlichkeit. Leider auch hier möchten man die Kleinen, welche Alekos Mam seit 2 Wochen mit der Hand gefüttert hat, anfangs nicht nehmen. Zu voll sei das Zentrum, so groß die Gefahr einer ansteckenden Krankheit!
Ich denke die inzwischen aufgebauten guten Beziehungen verhelfen uns dann doch noch zu einem guten Ende. Mariette, unsere Tierärztin der ersten paar Jahre im Kastrationsprojekt, hat hier mal gearbeitet. Ich erwähne ihren Namen, sofort hellt sich die Stimmung ein bisschen auf. Dann kommt auch schon ein Doktor, er gibt sogleich eine Impfung, und nach der Bezahlung von rund 130 Euros für die anfallenden Medikamente plus Chip und Reisepass (man meint hier, die Kleinen würden sobald es geht nach Westeuropa gebracht werden können) dürfen die Süßen bleiben. Besonders Aleko fällt ein Stein vom Herzen, wusste er doch zuletzt nicht mehr was zu tun sei. Seine Mutter überfordert, die Angst, man müsste die Welpen letztendlich wegen der Nachbarn, die sich schon bezüglich des Lärms aufgeregt hatten, in unsichere Hände abgeben, war groß. Nun ist aber alles gut – und wir haben sogar noch ein paar Minuten Zeit!
Schnell zum Flughafen, Gott sein Dank kein Stau, und dort erwartet uns Daniela, Alekos Mam. Sie ist zum Verabschieden gekommen, wie schön!
Als letzter Passagier, wie so oft, entere ich mit Müh und Not gerade noch rechtzeitig die Maschine. Dort sitze ich jetzt, während der Nachthimmel vorbeizieht und hämmere diese Zeilen in die Tasten. Mein Sitznachbar, in Anzug und Krawatte, ist schon so weit als möglich von mir weggerückt, weil mich heftigste Hustenattacken quälen. Natürlich ist mir dies nun sehr unangenehm. Aber ich kann den Reiz nicht stoppen, was auch immer ich zu tun versuche. Aber ansonsten, ansonsten erfüllt mich zunehmend ein Gefühl der Dankbarkeit – nämlich darüber, das tun zu dürfen, was ich eben mache; so wunderbare Menschen kennen zu dürfen, ausnahmslos jede/n einzelnen, der/die bei diesem so fantastisch verlaufenden Projekt dabei war! Die alles ist wahrlich nicht selbstverständlich.
Endlich in Wien gelandet holen mich Cosi, Alex und Julie ab. Welche Freude, das Trio wiederzusehen! Was bleibt zu sagen? Der Anblick der Hündin, noch vor wenigen Tagen dem Tode geweiht und jetzt in bestmöglichen Händen, allein deshalb ist ‚Tierschutz‘ alle Mühen dieser Welt wert…

 

 

 

 

 

 

Fotos: das ist die Misere Bulgariens, in wenige Bilder verpackt: Straßenhunde überall, völlig kaputte Straßen, Baustellen, welche mit einfachsten Mitteln ‚gesichert‘ worden sind, Ruinen über Ruinen, Kabeln und Leitungen, die im Wirrwarr von den Häusern hängen…

 

Ich möchte ganz zum Schluss gerne noch ein paar Worte loswerden; mit etwas schwerem Herzen verlasse ich Bulgarien, das Land ist mir inzwischen sehr nahe geworden. Seine Menschen tun mir leid, sie sind wie Gefangene zwischen den Welten; manche hängen dem Kommunismus nach, wo es wenigstens für alle genug zu essen gab. Die EU hat keine Befreiung gebracht, im Gegenteil – sie hat die Bevölkerung nochmals auseinander addiert. Ganz wenige sind reich geworden, der große Rest leidet an den wirklich untragbaren Bedingungen. Fast sämtliche der oft riesigen alten Firmen haben längst zugesperrt, Triste und Zerfall, das sind die hauptsächlichen Komponenten, welche die Masse aus Agonie zusammenhalten, zu beherrschen scheinen. Es gibt kein Gefüge, nichts funktioniert, die großen, alten Konzerne zerfallen, hunderttausende Arbeitsplätze verloren, die Straßen von den Elementen zerrissen. In den Dörfern wird die Straßenbeleuchtung um 10 oder 11 Uhr abends ausgeschaltet, weil eisern gespart werden muss. Armut, pure Armut, ist der Kitt, der die Gesellschaft verbindet, weil sie eben fast jeden und jede betrifft. Die ausufernde Korruption hält die Nation im eisernen Griff, dazu herrschen mafiöse Strukturen in vielen Bereichen, angefangen von den Versicherungen bis hin zu den obersten Ämtern. Ein klein wenig ist es zu verstehen, dann wer hier nicht irgendwie ein bisschen Geld zum immer viel zu niedrigen Einkommen dazuverdienen kann, der bleibt ganz einfach auf der Strecke. Kein soziales Netz ist vorhanden, fällt man, so fällt man so tief, dass es kein Aufstehen mehr gibt. Klingt hart, aber es ist so. ‚Jeden, den Du siehst, der ein gutes Auto fährt, ist der Kriminalität verfallen. Mit den hier gezahlten Löhnen, da kann man nicht überleben‘, höre ich immer wieder. Selbst der Nationalstolz ist ein vergangener, falls er überhaupt je existiert hat. Das Gegenteil ist der Fall, man hört die schlechtesten Meinungen über die eigenen Leute. Und zwar nicht ab und zu, sondern durchgehend, nie habe ich anders vernommen, egal, mit wem ich auch gesprochen, wem ich auch immer gefragt habe. Hoffnung ist längst gestorben, sie liegt am Friedhof der Realität begraben. Ein alles sagendes Beispiel: ein junger Freund erzählt mir, es gäbe praktisch keine Auswanderer in Bulgarien, trotz der weitgehenden Leere des Landes. Brutal wäre man gegen die Hilfsbedürftigen vorgegangen, so brutal, dass ein syrischer Flüchtling im Fernsehen sagte: ‚Ich gehe zurück in mein Land. Dort kann ich nur einmal sterben. Hier aber sterbe ich jeden Tag auf ein Neues‘… Nicht treffender könnte die Situation beschrieben werden (Bulgarien ist tatsächlich bis dato das einzige Land in der EU, welche ‚scharf‘ auf Flüchtlinge schießen lies; 2015 wurde dabei ein aus der Türkei kommender Afghane tödlich verwundet).
Ja, ich habe Mitleid mit den Menschen; viel mehr jedoch mit den Tieren. Sie sind die Schwächsten einer auseinanderbrechenden Gesellschaft, und nicht zuletzt dadurch bleiben sie fast völlig ohne Schutz zurück. Doch, es gibt entsprechende Gesetzte, aber was helfen solche, wenn sie nicht vollzogen werden? Überall gibt es Leid und Kummer, offensichtlich besonders furchtbar aber ist die Situation der Straßentiere. Es gibt niemand, der sich um sie kümmert, niemand außer einer Handvoll TierschützerInnen. Und diese sind ob der Größe der Aufgabe dabei, irgendwann an der Herausforderung zu zerbrechen. Selbst der ausgeglichenste Mensch erträgt nur ein gewisses Maß an Leid. Ist das Gefäß, welches die Emotion hält, aber randvoll, dann ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis der Geist die Balance zwischen psychischer Gesundheit und dem Wahnsinn nicht mehr halten kann. Ich spüre es nach wenigen Tagen am eigenen Körper; man muss aufpassen, ganz schrecklich aufpassen, um nicht innerlich zerbrochen zurückzubleiben. Das Positive sehen, ja, daran muss man sich festhalten. Im schlimmsten Ereignis einen kleinen Funken Gutes finden, das ist die Kunst, habe ich früher immer gesagt. So einfach gestaltet sich die Angelegenheit heute nicht mehr. Denn der Funke benötigt nur einen kleinen Wind um zu lodern zu beginnen oder noch viel öfters um vollends zu erlöschen – und dann weiß niemand mehr was passiert. Entweder entfacht sich daraus ein alles mitreißendes Feuer … oder er stirbt, wandert in stockdunkler Nacht einen Pfad, der zu keinem Ende mehr führt. Es ist wie mit der Unschuld; die kommt nie zurück, und genauso verhält es sich mit dem Licht. Ist es erloschen, erkaltet, dann ist alle Wärme und alle Hoffnung verloren. Mal sehen, wie sich eine solche Gratwanderung auf die Dauer auswirkt.
Wir werden in Bulgarien weitermachen, härter noch als je zuvor. Jedes gerettete Leben ist all die Mühen hundertfach wert. Kastrationsprojekte sind nach derzeitigen Möglichkeiten der einzige Schlüssel zum Erfolg, so viel steht fest. Nur sie verhindern unermessliches künftiges Tierleid.
Bitte begleiten Sie uns auf diesem Weg. Helfen Sie uns helfen! Die Tiere brauchen uns – und wir brauchen Sie!

 

 

 

 

 

 

 

 

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